Elke Büdenbender hat am 20. April als Schirmherrin an der digitalen Pressekonferenz zur Vorstellung des UNICEF-Berichtes zur Lage der Kinder in Deutschland 2021 teilgenommen.
Der UNICEF-Bericht dient dazu, die Folgen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche besser zu verstehen und daraus Schlussfolgerungen für politische Maßnahmen abzuleiten.
Der Familiensoziologe Hans Bertram zeichnet darin ein detailliertes Bild der Lage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Grundlage ist eine Auswertung der aktuellsten empirischen Daten zum kindlichen Wohlbefinden bis zum Ausbruch der Pandemie. Befunde neuerer Untersuchungen zu den Auswirkungen von Covid-19 auf die Lebenssituation von Kindern und ihren Familien ergänzen die Analyse.
Ansprache von Elke Büdenbender:
Der Einladung, den aktuellen UNICEF-Bericht zur Lage von Kindern in Deutschland vorzustellen, bin ich sehr gerne gefolgt.
Viele Kinder und Jugendliche haben im Augenblick keine einfache Zeit, und sie brauchen gerade jetzt unsere Aufmerksamkeit und unseren Rückhalt.
Es ist kein Zufall, dass Professor Bertram in seiner Analyse mehrfach auf eines der berühmtesten Mädchen der Welt Bezug nimmt, das Astrid Lindgren vor 75 Jahren erfunden hat – übrigens fast zeitgleich mit der Gründung von UNICEF. Auf hoher See rufen Pippi Langstrumpfs Freunde Tom und Annika einmal: Der Sturm wird immer stärker!
Und Pippi ruft zurück: Ich auch!
Ja, so stark wünsche ich mir alle Kinder, damit sie mit den Stürmen des Lebens fertigwerden und sogar daran wachsen können.
Zum Glück entfalten Kinder und ihre Familien auch im wirklichen Leben oft eine erstaunliche Resilienz. So haben viele, sehr viele Familien in Deutschland besonders in der Pandemie große Stärke bewiesen. Sie haben viele Einschränkungen tapfer hingenommen, sich den ungewohnten Bedingungen angepasst.
Die allermeisten Eltern stehen ihren Kindern bei, so gut es geht. Trotz Sorgen und Ängsten um Job, Gesundheit und Großeltern unterstützen sie ihre Kinder, damit sie weiter spielen und lernen können. Den Haushalt managen, Kinder bei Laune halten, den Job stemmen und Angehörigen beistehen, all dies oft auf engem Raum – das ist eine riesige Leistung!
Auch die Kinder und Jugendlichen waren und sind geduldig, diszipliniert und solidarisch – vielleicht sogar bisweilen mehr als manche Erwachsene. Sie machen das, um ihre Großeltern und Familien zu schützen. Dafür haben sie auf ganz viel verzichtet. Kindergeburtstage, Sportvereine, Treffen mit den Freundinnen und Freunden, Ausgehen – all das war und ist stark eingeschränkt.
Sie ertragen die Unsicherheit und Unberechenbarkeit, ob die Schule oder die Kita in der nächsten Woche noch geöffnet ist. Viele Jugendliche hängen noch tiefer als sonst im Niemandsland zwischen Schule, Ausbildung oder Studium. Viele Studentinnen und Studenten gehen bald ins vierte Semester, ohne je eine Hochschule von innen gesehen zu haben.
Die Mädchen und Jungen mussten und müssen auch aushalten, wie Erwachsene immer genervter werden. Und sie müssen erleben, dass sie selbst in der Politik und in der Öffentlichkeit nur selten gehört werden. Gleichzeitig waren und sind die digitalen Kompetenzen der jungen Menschen gefragt wie nie. In Schulen haben Jugendliche den Lehrerinnen und Lehrern beigebracht, wie man Zoom-Konferenzen abhält. In vielen Familien organisieren die Kinder das familiäre Internet. Sie bemühen sich weiter – so gut es geht auf der holprigen deutschen Datenautobahn – um Lernen und Ausbildung.
Und viele von ihnen entwickeln Wege, ihre Isolation zu überbrücken und sich mit anderen trotz allem auszutauschen. Was all das mit dieser Generation macht, steht noch nicht fest.
Aber diese Stichworte machen auch klar: Nicht alle Familien sind für diese Herausforderungen gut aufgestellt. Und je länger die Pandemie dauert, umso mehr nehmen Frust und Stress in den eigenen vier Wänden zu.
Der UNICEF-Report zeigt detailliert, wo wir aufpassen müssen, damit die schon lange vorher bestehenden Probleme von Kindern und Jugendlichen in unserem Land nicht noch größer werden: bei der psychischen Situation und mentalen Gesundheit, bei Bildung und Ausbildung, bei den Chancen und Risiken einer immer stärkeren Digitalisierung der Kindheit, bei Chancengerechtigkeit und Teilhabe aller Kinder.
Weil Kinder und Familien besonders belastet sind, müssen wir gerade sie jetzt stärken – besonders die, die es ohnehin schwer haben. Diese Botschaft ist vor der Bundestagswahl sehr wichtig! Im vergangenen Jahr wurde oft davon gesprochen, die Krise als Chance zu nutzen. Davon ist gegenwärtig leider kaum noch etwas zu hören.
Ja, es gibt viele Probleme bei der Bewältigung der Pandemie. Aber es ist auch keine Schönrednerei, wenn wir uns daran erinnern, was alles schon erreicht wurde und was vor allen die Familien und die Kinder bereits leisten. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, die Krise als einen Weg der Transformation unserer Gesellschaft zu einem Mehr an Miteinander und zu effizienteren Strukturen zu nutzen?
Ich finde, Kinder und Familien waren sehr solidarisch und loyal mit den Älteren. Bei der Überwindung der Pandemie und bei einem Neuanfang nach Covid-19 müssen jetzt auch wir Ältere Solidarität mit den Jüngeren üben.
Der Grundgedanke von UNICEF, der die weltweite Arbeit für die ärmsten Kinder leitet, muss auch bei uns in Deutschland gelten: Wir dürfen kein Kind zurücklassen. Nur so tragen wir dazu bei, dass unsere Kinder – wie Pippi Langstrumpf – stärker als die Stürme sind, mit denen sie in ihrer Entwicklung konfrontiert werden. Nur so können wir als offene, inklusive und vielfältige Gesellschaft die Herausforderungen der Zukunft bestehen.