Elke Büdenbender hat am 10. Februar als Schirmherrin für den Bereich Bildung mit einem Grußwort an der virtuellen Eröffnung des Zentrums am Zoo der Berliner Stadtmission teilgenommen.
Am Bahnhof Zoologischer Garten ist aus einer ehemaligen Polizeistation ein Ort entstanden, an dem sich Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten zum Thema Armut und Obdachlosigkeit begegnen, bilden und beraten lassen können. Das neue Zentrum am Zoo liegt in unmittelbarer Nähe zur Bahnhofsmission am Zoo und dem Hygienezentrum, beides Einrichtung der Stadtmission im Bereich der Obdachlosenhilfe.
Ansprache von Elke Büdenbender:
Menschen wollen verstehen. Sie wollen verstehen, warum die Dinge sind, wie sie sind. Damit aus dem Verstehen Verständnis werden kann. Bei Kindern ist die Neugier besonders ausgeprägt. Das ständige Und warum?
stellt Eltern manchmal auf eine Geduldsprobe, aber wir sollten sie in dieser Neugier unbedingt bestärken.
Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht, wer sich interessiert und nachfragt, wird den Menschen und Dingen um sich herum mit mehr Wertschätzung und Respekt begegnen – weil er sie versteht.
Aus diesem Grund finde ich die Idee einer Lernwelt Armut und Obdachlosigkeit
im Zentrum am Zoo so wertvoll und so wichtig. Ja, viele von uns, denen es gut geht, die das sprichwörtliche Dach über dem Kopf haben, ein geregeltes Einkommen, und die darüber hinaus in der Lage sind, sich von diesem auch etwas für die nachberufliche Lebensphase zurückzulegen, können oft nicht verstehen, wie das passieren kann: Wie kann ein Mensch – ich sage es jetzt so plakativ, wie es oft gedacht wird – so tief sinken, dass er obdachlos auf der Straße landet? Schnell sind einige Menschen da mit Vorurteilen unterwegs, finden für sich Gründe, die der Wahrheit aber oft gar nicht entsprechen.
Menschen, die man nicht versteht, über die man sich womöglich noch erhebt, die lässt manch einer gern links liegen. Beachtet sie nicht, kümmert sich nicht und unterstützt sie nicht. Sie werden ihre Gründe haben, warum sie auf der Straße leben
, denkt sich manche oder mancher. Das geht mich nichts an, und ich will damit auch nichts zu tun haben.
Das aber finde ich falsch. Jeder Mensch hat das Recht darauf gesehen zu werden. Jeder Mensch verdient unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse an seiner Person und an seinem Schicksal.
Das Zentrum am Zoo ermöglicht genau das: die Begegnung der beiden Lebenswelten, von Menschen mit Obdach und Menschen ohne, und das auf Augenhöhe. In der Lernwelt Armut und Obdachlosigkeit
können Menschen z.B. in Seminaren und Tagungen ihre Fragen über Armut, Wohnungs- und Obdachlosigkeit loswerden und Antworten darauf finden – oder wenn sich ihnen diese Fragen nicht stellen, mit Information darüber konfrontiert werden. Auch sollen Begegnungen mit von Obdachlosigkeit Betroffenen in der Lernwelt möglich werden.
So entsteht ein Verstehen und am Ende ein Verständnis für die Menschen, deren Lebensweg nicht so geradlinig verlaufen ist. Es wächst ein Bewusstsein dafür, dass das Leben manchmal eben doch nicht so planbar ist, wie wir uns das vorstellen, dass manchmal eines zum anderen kommt und die Lebensplanung kippt. Nur so können Empathie und Mitgefühl für obdachlose Menschen entstehen – und daraus im besten Fall der Wunsch resultieren, etwas für diese Menschen zu tun oder ihnen mindestens so zu begegnen, wie es sich gehört: als Menschen auf Augenhöhe.
Was ich ganz wunderbar finde, ist, dass sich die Bildungsangebote im Zentrum am Zoo schon an Schülerinnen und Schüler richten. Kinder gehen, wie schon erwähnt, mit großer Neugier und offenen Augen durch die Welt. Diesen Teil der Welt dürfen wir ihnen nicht vorenthalten!
So entsteht aus Bildung vor allem eines: Herzensbildung. Und von der können wir alle im gesamten Verlauf unseres Lebens nicht genug bekommen.
Das Schöne an der Herzensbildung ist: Sie ist keine Einbahnstraße. Wer anderen aufrichtig und mit Respekt begegnet, wird umgekehrt – zumindest langfristig – auch respektvoll behandelt. Für die von der Obdachlosigkeit betroffenen Menschen bedeutet das: Sie erkennen, dass sie als Mensch wahrgenommen und akzeptiert werden.
Im Zentrum am Zoo bekommen sie über die grundlegenden lebensnotwendigen Zuwendungen wie Essen, Kleidung und Duschmöglichkeiten auch menschliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Wie Herr Dr. Lutz es so schön formulierte: erste Hilfe für die Seele und die innere Blume der Menschen – die jede und jeder von uns hat. Sie können erzählen und jemand hört zu. Und mehr noch: Sie bekommen Rat und konkrete Hilfe.
Menschen erfahren, dass sie als ganzer Mensch mit körperlichen und seelischen Bedürfnissen ernst genommen werden. Und dass auch ihre Meinung zählt. So wird ihnen nach langer Zeit wieder Teilhabe ermöglicht. Vielleicht entdecken sie in den Gesprächen und Begegnungen Gaben und Fähigkeiten, die sie noch nie entdeckt oder die sie tief in ihrem Inneren vergraben hatten. So kann ein neues Selbstwertgefühl entstehen, das ihnen im besten Fall den Mut und die Kraft verleiht, wieder eine Wohnung und gegebenenfalls eine Arbeit zu finden und sich in das haltgebende Gefüge einer Gemeinschaft zu begeben, zu der man sich zugehörig fühlt.
Das sind hoch gesteckte Ziele, die sich nicht von heute auf morgen werden realisieren lassen. Aber eines ist sicher: Das Zentrum am Zoo kann ein ganz wunderbarer und wertvoller Anfang sein. Ich bin froh und dankbar, als Schirmherrin diesen Prozess der Herzensbildung auf beiden Seiten – bei den Menschen mit und ohne Obdach – in der Lernwelt begleiten zu dürfen, und wünsche Ihnen, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viel Tatkraft und Erfolg. Vor allem aber wünsche ich Ihnen – und uns allen –, dass die Pandemie Sie nicht noch viel länger in Ihrem wichtigen Engagement ausbremst. Eine Stadt wie Berlin braucht einen Ort wie das Zentrum am Zoo, und so sollten die Menschen mit und ohne Obdach nicht mehr warten müssen auf die drei so wichtigen B‘s: Beratung, Begegnung und Bildung.
Es wird Zeit!