Jubilar-Ehrung der IG Metall Hannover

Schwerpunktthema: Bericht

24. Oktober 2019

Elke Büdenbender hat am 24. Oktober an der Ehrung der Jubilare der IG Metall Hannover teilgenommen und die Festrede gehalten.

Elke Büdenbender hält die Festrede bei der Ehrung der Jubilare der IG Metall Hannover

Elke Büdenbender hat am 24. Oktober an der Ehrung langjähriger Mitglieder der IG Metall Hannover teilgenommen und die Festrede gehalten. Insgesamt wurden über 1000 Menschen geehrt, die 40, 50, 60, 70 oder über 70 Jahre Mitglied der IG Metall sind.

Ansprache von Elke Büdenbender:

Festlich begangener Jahrestag eines bestimmten Ereignisses – so die Definition des Begriffs Jubiläum.

Zu so einem Fest sind Sie heute hier in Hannover zusammengekommen. Und ich freue mich sehr, dass ich dabei sein darf, um insgesamt 1.234 Ereignisse zu feiern: 770-mal 40-jährige Mitgliedschaft in der IG Metall, 284-mal 50-jährige Mitgliedschaft, 126-mal 60-jährige Mitgliedschaft, 37-mal 70-jährige Mitgliedschaft und 14-mal eine über 70-jährige Mitgliedschaft.

Vor 70 Jahren wurde die Bundesrepublik gegründet – einige von Ihnen waren da bereits in der Gewerkschaft, andere hatten den Mitgliedsantrag gerade ausgefüllt oder waren dabei, es zu tun. Vor 70 Jahren trat ebenso unser Grundgesetz in Kraft. Das Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen, das Koalitionsrecht, wird darin durch Artikel 9 geschützt.

Zwar war das Koalitionsrecht auch bereits Inhalt der Weimarer Verfassung, jedoch zeigt das Jahr 1933, wie fragil unter anderem dieses Recht gewesen ist. Und es führt uns vor allem auch vor Augen, wie wichtig eine in Staat und Gesellschaft fest verankerte Verfassung ist. Die wichtigste Vorläuferorganisation der IG Metall war der 1891 gegründete Deutsche Metallarbeiter-Verband. Schnell entwickelte er sich zur größten deutschen Einzelgewerkschaft zunächst im Kaiserreich und anschließend in der Weimarer Republik. 1933 wurde der Verband, wie auch alle anderen freien Gewerkschaften, von den Nationalsozialisten zerschlagen. In der Zeit der NS-Diktatur wurden viele der Gewerkschaftsmitglieder verfolgt, litten unter Repressionen oder bezahlten für ihr Engagement mit ihrem Leben. Erst in den Nachkriegsjahren wurden die Gewerkschaften neu gegründet – im Westen Deutschlands nach dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft. Die erfolgreich gelebte Sozialpartnerschaft und die starke Rolle der Gewerkschaften waren der Grundstein für das Wirtschaftswunder und den deutschen wirtschaftlichen Erfolg!

In diesem Jahr haben wir zu Recht schon viel gefeiert. Ich möchte meine Rede bewusst denen widmen, die sonst oft im Schatten stehen – auch in der Welt der Gewerkschaften. Besonders freue ich mich deshalb, dass unter den zu Ehrenden heute – wenn auch nicht alle persönlich anwesend – 148 Jubilarinnen sind – eine von ihnen ist sogar seit mehr als 70 Jahren und drei sind seit genau 70 Jahren dabei. In geschichtlichen und zeithistorischen Betrachtungen fallen Frauen leider häufig unter den Tisch. Dabei gab es seit der ersten Stunde des Deutschen Gewerkschaftsbundes Frauen, beispielsweise Liesel Kipp-Kaule, Thea Harmuth, Clara Sahlberg, Ingeborg Tönessen oder Maria Weber. Auf der Internetseite des DGB werden derzeit ihre Geschichten erzählt – ein Blick lohnt sich!

Und auch vor 1949 gab es Frauen in der Gewerkschaftsarbeit. Zum Beispiel meine allererste Vorgängerin als First Lady, Louise Ebert, war Gewerkschafterin und überzeugte Demokratin. Ihr Holzarbeiter-Verband, der die unqualifizierten Arbeiterinnen und Arbeiter repräsentierte, sah in seiner Satzung vor: Der eine Vorsitzende ist ein Mann, die zweite Vorsitzende eine Frau. Schon 1893 war Parität machbar! Aber dies war, muss ich leider zugeben, eine Ausnahme. Die Hürden für Frauen, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden, waren im 19. Jahrhundert hoch. Die Mitgliedschaft in politischen Vereinen war ihnen verboten, und bei den männlichen Kollegen bestanden über das offizielle Verbot hinaus auch oftmals Vorbehalte gegen weibliches Engagement.

In der Bundesrepublik war die Beziehung zwischen Gewerkschaften und Frauen zunächst weiterhin ambivalent: Als Mitglieder waren wir Frauen willkommen, doch die politischen Entscheidungen trafen, wie in Politik und Gesellschaft seinerzeit grundsätzlich, die Männer. Frauen ihrerseits hatten zunächst wenig Interesse, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Erwerbsarbeit betrachteten sie vor dem Hintergrund patriarchalisch geprägter Gesellschaftsstrukturen als etwas Vorübergehendes und sahen daher keine Veranlassung, sich für bessere Arbeitsbedingungen stark zu machen. Erst in den 1970er Jahren wurde dies spürbar anders.

An dieser spürbaren Veränderung für die gesellschaftliche Rolle der Frau hat die IG Metall großen Anteil. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind eben auch Treiberinnen und Treiber des Fortschritts. Ja, oft waren und sind sie der Zeit voraus. Als vor 60 Jahren von Ihnen, liebe Jubilarinnen und Jubilare, 129 Neumitglieder der IG Metall beitraten, wurde auf dem 5. ordentlichen Gewerkschaftstag im Jahr 1958 unter dem Schlagwort Gleicher Lohn für gleiche Arbeit die Gleichberechtigung der Frau gefordert – dies zu einer Zeit, in der Frauen nach gesellschaftlichen Verständnis Hausfrau und Mutter zu sein hatten. Dies zeigt nochmal, wie fortschrittlich der Holzarbeiter-Verband meiner Vorgängerin Louise Ebert war, als er bereits Ende des 19. Jahrhunderts seinen Vorstand paritätisch besetzte und Frauen eine Rolle außerhalb des Haushalts zugestand.

Gewerkschaften haben große gesellschaftliche Relevanz. Noch mehr Relevanz haben sie jedoch für die Mitgestaltung der Arbeitswelt – durch Männer und Frauen gemeinsam.

Durch den Kampf um Mitbestimmung im Bergbau und in der Stahlindustrie wurde 1951 die paritätische Mitbestimmung in den Betrieben in der Montanindustrie Gesetz. Im Jahr 1952 folgte das Betriebsverfassungsgesetz, und 1954 gab es zum ersten Mal eine tarifliche Sonderzahlung – besser bekannt unter dem Begriff Weihnachtsgeld. Das Bundesarbeitsgericht hat 1952 die Einführung von Frauenlohngruppen untersagt. Die Gewerkschaften setzten dann die Fünftagewoche durch: Sonntags gehört Vati mir.

Vor etwa 50 Jahren traten in den 1960ern 284 von Ihnen, darunter 40 Frauen, der IG Metall bei. Sie setzten im Jahr 1962 erstmals das tarifliche Urlaubsgeld durch. Und die 40-Stunden Woche wurde eingeführt.

Die Jubilarinnen und Jubilare, die heute auf mehr als vier Jahrzehnte Gewerkschaftsarbeit zurückblicken können, erlebten zusammen mit allen anderen die Einführung des Gesetzes für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 1970. Im Jahr 1990 wurden die tariflichen Strukturen der Bundesrepublik auf die ostdeutschen Bundesländer übertragen, die Gewerkschaften aus Ost und West 1991 vereint. Der erste gesamtdeutsche Gewerkschaftstag fand 1992 statt – vielleicht waren einige von Ihnen dabei?

Meine lieben Jubilarinnen und Jubilare, Sie haben viele zeitgeschichtliche Ereignisse miterlebt – ich konnte hier nur einige skizzieren. Sie alle sind Teil dieser Geschichte. Sie sind Teil der Geschichte unserer Arbeitswelt, unserer Gesellschaft und unseres Landes. Sie haben mitgestaltet, auf Fehlentwicklungen aufmerksam gemacht, gekämpft und zu entscheidenden Verbesserungen beigetragen. Dieser Beitrag, Ihr Beitrag, ist wichtig, nein unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Denn unsere Demokratie lebt davon, dass alle mitmachen, mitmachen dürfen. Und Menschen wie Sie halten sie lebendig!

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind Demokratinnen und Demokraten im besten Sinne. Und Sie, meine lieben Damen und Herren, sind dies seit Jahrzehnten. Dafür möchte ich Ihnen meinen Dank aussprechen. Werden Sie nicht müde, um Nachwuchs zu werben, damit der wichtige gesellschaftliche Beitrag der Gewerkschaften ebenso lebendig bleibt wie unsere Demokratie! Gewerkschaften können insbesondere jungen Menschen in Zeiten des Wandels Orientierung und Halt geben, sie bringen Berufserfahrene mit Azubis zusammen. Sie fördern die Integration über Generationsgrenzen hinweg. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter grenzen nicht aus, nein, sie stehen für Zusammenhalt. Und das, was viele junge Kolleginnen und Kollegen heute glücklicherweise in der Arbeitswelt als selbstverständlich betrachten, haben Sie erkämpft! Erzählen Sie ihnen davon, teilen Sie ihre ganz persönliche Geschichte und motivieren die jungen Leute, sich ebenso zu engagieren! Und zeigen Sie, dass wir nicht rückwärtsgewandt sind, wir sind nicht rassistisch. Wir betrachten die Menschen als das, was sie sind – als Mitmenschen, Kolleginnen und Kollegen.

Und, wenn ich das so deutlich sagen darf, helfen Sie weiterhin mit, gläserne Decken zu beseitigen, die uns Frauen behindern! Auch da ist die IG Metall Vorbild. Abermals der Zeit voraus, hat sie auf dem Gewerkschaftstag im Jahr 1999 die Einführung der Frauenquote beschlossen. Danach müssen in den Organen und Gremien der IG Metall Frauen mindestens dem Anteil an der gesamten Mitgliedschaft entsprechend vertreten sein. Erst sieben Jahre später trat 2016 das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in Kraft.

Gleiche Bezahlung von Frauen und Männern sowie die Förderung von Frauen in Führungspositionen sind beides Felder, in denen jeweils noch Luft nach oben besteht. Aber ohne die Gewerkschaften wären die Lücken wohl noch größer. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass Sie auch weiterhin tatkräftig daran mitwirken, dass wir Frauen noch sichtbarer werden – nicht nur in den Führungsetagen der Betriebe und Unternehmen, sondern auch der Gewerkschaften!

Lassen Sie uns, Männer und Frauen, Demokratinnen und Demokraten, weiterhin engagiert und motiviert Zeitgeschichte schreiben. Seien Sie stolz auf sich und das durch Ihr Engagement Erreichte! Ich zumindest bin stolz auf Sie und sage nochmals von Herzen vielen Dank!

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier