Gedenkveranstaltung für Louise Ebert

Schwerpunktthema: Bericht

6. September 2019

Elke Büdenbender hat am 6. September zu Beginn der Veranstaltung "Louise Ebert (1873-1955) – Deutschlands erste First Lady
und der Kampf um Bildung, Gleichberechtigung und gewerkschaftliches Engagement" in Schloss Bellevue eine Rede gehalten.


Elke Büdenbender hat am 6. September die Veranstaltung Louise Ebert - Deutschlands erste First Lady und der Kampf um Bildung, Gleichberechtigung und gewerkschaftliches Engagement in Schloss Bellevue mit einer Rede eröffnet.

Anschließend diskutierte sie mit der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Elke Hannack, und den Auszubildenden und Vorsitzenden der Jugend- und Auszubildendenvertretung Franziska Drees und Sandra Meyer über das Wirken von Louise Ebert. Es moderierte Annette Riedel.

Ansprache von Elke Büdenbender:

Herzlich Willkommen im Schloss Bellevue! Auch im Namen meines Mannes begrüße ich Sie heute von dieser Stelle – und mein Mann sitzt in der ersten Reihe. Gewöhnlich ist dies andersherum. Aber heute geht es nicht um das Staatsoberhaupt, sondern um die Person an dessen Seite.

Ich freue mich sehr, dass Sie mit mir heute gemeinsam an eine Frau erinnern wollen, die nicht nur eine wichtige Epoche deutscher Demokratie- und Frauengeschichte verkörpert, sondern der ich mich auch persönlich vielfältig verbunden fühle.

Es geht um Louise Ebert, die Ehefrau des ersten gewählten deutschen Staatsoberhaupts: Eine Frau, die für eine Generation von Frauen steht, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts geboren wurde, und die in Armut, mit Benachteiligung und nahezu ohne jede Bildungschancen aufgewachsen ist; eine Frau, die sich bereits in jungen Jahren in allen Höhen und Tiefen des Arbeitslebens behaupten musste; eine Frau, die gewerkschaftliches Engagement nutzte, um Arbeitsbedingungen zu verbessern; eine Demokratin, deren Weg aus einem einfachen Elternhaus auf dem Land ins Palais des Reichspräsidenten in die Hauptstadt Berlin führte.

Wer am Computer in die Suchleiste der großen Versandhändler ihren Namen eingibt, der bekommt eine lange Trefferliste. In der Kategorie Bücher sind es rund 250, und bei DVDs immerhin 60 Treffer. Ganz offenkundig ist kein Winkel ihres Lebens unausgeleuchtet geblieben. Alles ist erforscht, erzählt und verfilmt – das gesamte Leben von, nein, nicht von Louise Ebert, sondern von Eva Braun.

Wenn es um Hitlers Gefährtin geht, dann ist offenbar keine Facette ihres Lebens zu banal, um nicht vor einem interessierten Publikum in Büchern, Filmen und Dokudramen ausgebreitet zu werden. Wer dagegen nach Louise Ebert sucht, der landet nur einen einzigen Treffer, der stößt auf das schmale Bändchen eines Regionalforschers.

Rund 300 Treffer dort, ein einziger hier. Ohne die Notwendigkeit der Erinnerung an diese furchtbare NS-Zeit in Zweifel zu ziehen, diese Zahlen spiegeln zweierlei: die mitunter zweifelhafte Faszination, die von den NS-Tätern und ihrem Umfeld ausgeht, und die verbreitete Ignoranz gegenüber den Pionieren unserer Freiheits- und Demokratiegeschichte. 100 Jahre nach dem Beginn der Weimarer Republik beginnen wir endlich damit, ihre Protagonistinnen und Protagonisten aus dem Schatten der Erinnerung zu holen. Und da lohnt es, finde ich, auch die Frau des ersten gewählten Staatsoberhaupts, die Demokratin, die Gewerkschafterin Louise Ebert zu würdigen.

Louise Ebert war eine Pionierin – vor ihr gab es in Deutschland keine First Lady, sondern eine Kaiserin. Deren Ehemann, der Kaiser, gelangte in sein Amt als Staatsoberhaupt durch Erbfolge und nicht durch Wahlen. Als Friedrich Ebert am 11. Februar 1919 mit seiner Wahl zum Reichspräsidenten Deutschlands erstes gewähltes Staatsoberhaupt wurde, und Louise Ebert mit ihm die Bühne der Öffentlichkeit betrat, war auf der anderen Seite des Atlantiks der Titel First Lady samt Rolle der Präsidentengattin bereits etabliert. In Deutschland dagegen gab es für Louise Ebert weder Rollenvorbilder, noch gab es – und ich möchte hinzufügen: gibt es bis heute – eine Rollenbezeichnung. Sie war ganz auf sich allein gestellt, um diese Aufgabe zu definieren und mit den unterschiedlichen Erwartungen an ihre Rolle umzugehen. Und die Erwartungen, das hat sich bis heute nicht geändert, können durchaus widersprüchlich sein.

Der Bildervortrag gerade hat uns Louise Ebert vorgestellt. Aufgewachsen in sehr einfachen Verhältnissen auf dem Land in der Nähe von Bremen, endete für sie im Alter von nur zwölf Jahren die Schulzeit und das Arbeitsleben begann. Ein Arbeitsleben, bei dem es nicht um Ausbildung und Aufstieg ging, sondern um das wirtschaftliche Überleben. Erst als Jungmagd, dann als Dienstmädchen, schließlich als Kistenkleberin in einer Tabakfabrik. Ein Arbeitsleben, bei dem eine 52-Stunden-Woche in der Fabrik noch attraktiv war – jedenfalls im Vergleich zur Rund-um-die-Uhr-Arbeit als Dienstmädchen. Und Frauen meilenweit entfernt von Führungspositionen waren.

Heute wissen wir, dass die Quote für Frauen in Führungspositionen ein Weg sein kann, um Frauen nach vorn zu bringen. Damals war mitnichten daran zu denken. Umso bemerkenswerter also, dass die Gewerkschaft, in der sich Louise Ebert engagiert hat, ihrer Zeit hier weit voraus war. Der Holzarbeiter-Verband, der die unqualifizierten Arbeiterinnen und Arbeiter repräsentierte, sah nämlich in seiner Satzung vor: Der eine Vorsitzende ist ein Mann, die zweite Vorsitzende eine Frau. Schon 1893 war Parität machbar. Das macht doch Mut für manche Diskussion heute.

Die sozialen Missstände jener Zeit, die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse und die Unterdrückung der Beschäftigten durch das Bündnis von Staat und wirtschaftlichen Eliten im Obrigkeitsstaat sind heute für uns hier kaum mehr vorstellbar: 1890 betrug die durchschnittliche Arbeitszeit elf Stunden pro Tag und 66 Stunden pro Woche; eine Krankenversicherung gab es nur für wenige Arbeiter, und schon gar nicht für Angehörige und Kinder; wer sich aber für bessere Arbeitsbedingungen engagierte, der musste vielfach mit Entlassung und Pressionen durch Behörden und Fabrikherren rechnen.

Ich frage mich, wie viel Mut muss ein junges Mädchen wie Louise Ebert damals besessen haben, um sich für bessere Arbeitsbedingungen zu engagieren? War es der Mut der Verzweiflung? War es die Solidarität ihrer Mitstreiter, die ihr diese Kraft gegeben hat? Fiel es ihr leicht, die eigene Berufstätigkeit aufzugeben, um den Ehemann zu unterstützen? Wir können nur mutmaßen.

Über die Gewerkschaftsarbeit lernte Louise Ebert jedenfalls ihren Mann kennen. Als das erste gemeinsame Kind unterwegs war – später folgten noch vier weitere –, heirateten die beiden. Die eigenen Berufstätigkeit gab sie auf und unterstütze mehr und mehr ihren Mann in seiner Gastwirtschaft Zur Guten Hilfe in Bremen. Die Doppelbelastung als Gastwirtfrau und Mutter von fünf Kindern hinterließ ihre Spuren. Die Gaststätte wurde aufgegeben, Friedrich Ebert verfolgte seine Karriere in der Politik weiter. Und seine Frau unterstütze ihn dabei, indem sie – ein banales, aber durchaus zutreffendes Klischee – ihm den Rücken frei hielt und sich um Haushalt, Kinder und Familienleben kümmerte.

Als Louise Ebert vor hundert Jahren Deutschlands erste First Lady wurde, da forderte auch diese neue Aufgabe von ihr Mut und Courage. In bewusster Abgrenzung zum Pomp der Monarchie, trat sie stets sehr bescheiden und zurückhaltend auf. Der Ebert-Biograph Walter Mühlhausen meint sogar, dass die Republik das Potential von Louise zu wenig genutzt habe, um mit ihren öffentlichen Auftritten Sympathien für die Demokratie zu werben. Wie einst ihre Aufgaben als Gastwirtfrau, musste sie nun ihre Aufgaben als Präsidentengattin mit Familienleben vereinbaren. Dort, im Gaststättenbetrieb, wie hier, bei Teestunden, offiziellen Essen und Empfängen, muss sie eine ausgezeichnete Gastgeberin gewesen sein. Sie bewirtete zusammen mit ihrem Mann, oder auch allein, Mitglieder des diplomatischen Korps, Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Literatur und Kunst. Sie kümmerte sich aber auch um die vom Schicksal weniger begünstigten: als Schirmherrin der Deutschen Kinderhilfe/Volkssammlung für das notleidende Kind organisierte sie Wohltätigkeitsveranstaltungen.

Mit Betreten der öffentlichen Bühne, kam sie jedoch auch in ein Umfeld, das ihr oft keineswegs freundlich gegenübertrat. Die hohen Beamten, die Militärs und Diplomaten, mit denen sie jetzt zu tun hatte, stammten überwiegend noch aus der Monarchie – aus einer Zeit, in der die Arbeiterbewegung lange als staatsfeindlich galt. Die Repräsentanten der neuen Republik wurden deshalb von den Feinden der Demokratie mit viel Hass und Häme verfolgt – auch Louise Ebert selbst. Die Verleumdung, das einstige Dienstmädchen wüsste beim Staatsempfang ja nicht einmal mit Messer und Gabel umzugehen, gehörte dabei noch zu den harmloseren Schmähungen.

Wie souverän Louise Ebert ihre neue Aufgabe dennoch gemeistert hat, dafür gibt es einen sehr glaubwürdigen Beleg. Glaubwürdig deshalb, weil er von den politischen Gegnern von Friedrich Ebert stammt: In den 1920er Jahren machten sich die konservativen Parteien Gedanken über einen Nachfolger für Ebert, und in diesem Zusammenhang schrieb ein Reichsminister der Deutschen Volkspartei einen Brief an Gustav Stresemann, seinen Parteichef. Mit Blick auf mögliche Präsidentschaftskandidaten heißt es darin etwas gönnerhaft: Man darf auch nicht vergessen, dass der neue Reichspräsident eine Frau haben muss, die ihre Sache so vorzüglich macht wie Frau Ebert. Sie hat es verstanden, für ihren Posten einen neuen, vollkommen einwandfreien und würdigen Stil zu schaffen. Sie hat mit großem Geschick und Takt es vermieden, der lächerliche Abdruck einer Fürstin zu sein. Ob das jede bürgerliche Nachfolgerin fertigbekommen würde, bezweifle ich stark.

Auch mir ist meine heutige Position nicht in die Wiege gelegt worden. Hätte früher einmal jemand zu mir gesagt: Büdenbender, Du wirst später mal als Richterin arbeiten; und noch später als Frau des Bundespräsidenten Deutschland repräsentieren, ich hätte die- oder denjenigen für verrückt erklärt. Mein Vater war gelernter Tischler und später Stahlbauschlosser, meine Mutter Hauswirtschafterin. Ich hatte das Glück in einer Gesellschaft aufgewachsen zu sein, die sich Bildung für alle auf die Fahnen geschrieben hatte. Meine Eltern wussten, dass für ihre Kinder eine gute Bildung auch ein Garant der Selbstbestimmung war, und der Staat hat damals mit Kollegschulen und BAföG auch meinen Berufsweg durch Bildung gezielt gefördert. Mein Weg an die Universität führte zunächst über eine Ausbildung.

Die Zeiten haben sich verändert, immer mehr Jugendliche besuchen ein Gymnasium. Der Weg über das Abitur ins Studium gilt als vermeintlich besserer Weg. Auf eine Ausbildung blicken viele herab – völlig zu Unrecht! Denn beide Wege können in ein glückliches Berufsleben führen und dabei – davon bin ich überzeugt – ist der eine genauso gut wie der andere.

Ich glaube, es ist viel wichtiger, auch heute noch zu fragen, welche Hindernisse es für junge Menschen beim Start ins Berufsleben gibt. Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat in der jungen Bundesrepublik den Begriff von den katholischen Mädchen vom Lande geprägt, die damals besonders benachteiligt waren. Wie sieht das eigentlich heute aus? Wer hat heute mit den größten Startnachteilen in unserem Bildungssystem und beim Berufseinstieg zu kämpfen? Ist an die Stelle vom katholischen Mädchen vom Lande heute vielleicht das muslimische Mädchen aus der Großstadt getreten? Oder für Berlin: Wie wichtig ist der Stadtteil, in dem ich als junger Mensch aufwachse? Und wie sieht es mit den Jungs aus?

Wir blicken heute nicht nur in die Vergangenheit. Sondern wir blicken ebenso darauf, wie aktuell die Lebensthemen von Louise Ebert auch in der Gegenwart noch sind: Welche Herausforderungen haben Mädchen und Frauen, welche Herausforderungen müssen alle jungen Menschen beim Start ins Berufsleben heutzutage meistern? Wie steht es um den Zugang zu Bildung, um Chancengleichheit im Beruf und das Eintreten für faire Arbeitsbedingungen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Dazu haben wir interessante Gesprächspartnerinnen eingeladen und ich begrüße deshalb ganz besonders herzlich Elke Hannack, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Franziska Drees – sie macht eine Ausbildung zur Chemielaborantin und ist in ihrem Unternehmen die Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Sandra Meyer – sie ist in der IG BCE aktiv und Vorsitzende der Jugendvertretung im deutschen Ableger eines großen Öl-Konzerns, der, wenn die Statistik stimmt, das neuntgrößte Unternehmen weltweit ist. Und ich begrüße Anette Riedel vom Deutschlandfunk, die unsere Diskussion gleich im Anschluss moderieren wird: Auch Ihnen ein herzliches Willkommen!

Heute ist es für junge Frauen, junge Menschen allgemein leichter den Start in ein erfülltes Berufsleben zu finden. Und es ist sehr viel leichter die Frau des Bundespräsidenten zu sein, jedenfalls empfinde ich das so. Wir leben bei aller Sorge doch in einer gefestigten Demokratie und ich bekomme viel Sympathie und Unterstützung für meine Aufgabe.

Aber ich räume ein: First Lady zu sein – jetzt verwende ich den Begriff doch –, das ist eine exotische Tätigkeit. Eine größere Bedeutung für junge Frauen, für junge Menschen, haben doch die Erfahrungen, die Louise Ebert und auch ich in jungen Jahren in unserer Ausbildung und beim Einstieg ins Berufsleben gemacht haben. Deshalb freue ich mich auf die Diskussion, die wir gleich führen.

Aber mir war eines sehr wichtig und auch deshalb habe ich Sie heute hier ins Schloss eingeladen: Wenn wir in diesem Jahr an die Gründung der Weimarer Republik vor einhundert Jahren erinnern, dann sollten wir auch an Louise Ebert erinnern – an die Frau, die unsere erste Demokratie in schweren Zeiten ohne Pomp, aber mit großer Würde repräsentiert hat.

Vielen Dank!