Elke Büdenbender hat auf dem Plan W-Kongress der Süddeutschen Zeitung am 6. Juni eine Keynote gehalten und anschließend an dem Panel "Wie viel Gerechtigkeit ist möglich?" teilgenommen.
Ansprache von Elke Büdenbender:
Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.
Ein Wirtschaftskongress für Frauen – das klingt fast nach einem exotischen Ereignis. Jedenfalls lässt es aufhorchen und führt zu scheinbar ungewohnten Assoziationsketten: Frauen und Wirtschaft, Frauen und KI, Frauen und Digitales, Frauen in Führungspositionen, Frauen und Geld, und: Frauen und Macht! Alles ungewohnt, jedenfalls nicht die Regel. Gleichzeitig kommt schnell die Frage auf: Ist das wirklich noch nötig – ein Wirtschaftskongress aus weiblicher Perspektive? Und ich sage Ihnen: Ja, es ist nötig!
Natürlich wäre es erfreulich, wenn dieser Wirtschaftskongress nur Plan W wie Plan-Wirtschaft oder einfach nur Plan heißen müsste, aber er muss eben Plan W wie Plan-Weiblich heißen. Denn nach wie vor sind Frauen in vielen Bereichen unseres öffentlichen Lebens und gerade in der Wirtschaft unterrepräsentiert, allzu häufig fehlt die weibliche Perspektive. Es ist eben genau so wie Sie, liebe Frau Werner, und Sie, lieber Herr Beise, zu dieser Veranstaltung schreiben: Es muss sich etwas ändern. Und genau deshalb bin ich hier. Herzlichen Dank für die Einladung!
Ich bin keine Politikerin und keine Unternehmerin. Ich stehe hier als Juristin – als Richterin, die aus übergeordneten Gründen für fünf Jahre ihr Richteramt ruhen lässt. Denn Sie wissen wahrscheinlich: Mein Mann ist der Bundespräsident. Und somit spreche ich auch als First Lady zu ihnen.
Und das steht keineswegs im Widerspruch zu dem, als was ich heute ebenfalls zu Ihnen gekommen bin, nämlich als Feministin; als Frau, der die Sache der Frauen – ihre Selbstbestimmung, ihre Freiheit, ihre Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten – ein besonders wichtiges Anliegen ist und schon immer war.
Ich sehe mich damit in einer Linie mit vielen meiner starken, selbstbewussten Vorgängerinnen. Das begann mit Elly Heuss-Knapp, der Frau unseres allerersten Bundespräsidenten: Sie arbeitete – nach einem Tätigkeitsverbot durch die Nazis – in der Werbebranche, erfand den Jingle und ernährte ihre Familie mit ihrem Einkommen. Sie hat viel und mit großer Weitsicht für Frauen getan. Sie hat das altbacken klingende, aber bis heute sehr modern denkende Müttergenesungswerk gegründet, um die damals von den Entbehrungen des Krieges und des Wiederaufbaus gezeichneten Mütter zu entlasten. Und heute hilft ihr Prinzip aus den 40ern Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen. Oder: Hilda Heinemann, die sich zu einem Zeitpunkt für Menschen mit geistigen Behinderungen einsetzte, zu dem diese Fragen die breite Gesellschaft noch lange nicht erreicht hatten. Oder ich denke an Mildred Scheel, die als Ärztin arbeitete, die Deutsche Krebshilfe und damit ein wichtiges Vehikel für die Krebsforschung in Deutschland gründete.
Mit diesen Beispielen bekommt die Bezeichnung First Lady eine ganz andere Bedeutung.
Wir schreiben nun aber das Jahr 2019. Unser Land war vielleicht nie demokratischer, auf jeden Fall selten liberaler und offener, als es das heute ist. Frauen stehen in Deutschland an der Spitze von Regierungen, Unternehmen, Universitäten, Gerichten, Redaktionen, Medienunternehmen. Deutschland hat weltweit anerkannte Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen oder Ökonominnen vorzuweisen. Eine Entwicklung übrigens, zu der in besonderem Maße auch die Frauen in und aus Ostdeutschland beigetragen haben.
In Deutschland stehen Frauen die Türen also offen. Das habe ich selbst erfahren: Nach der mittleren Reife, während meiner Ausbildung zur Industriekauffrau erlebte ich große Unterstützung von Mentorinnen und Mentoren in der Gewerkschaft. Inspiriert und ermutigt durch sie, habe ich Abitur gemacht und mich dann entschlossen, Jura zu studieren, später bin ich dann Verwaltungsrichterin geworden. Wenn Sie so wollen, bin ich die klassische Bildungsaufsteigerin: Bildung und die Förderung durch Kolleginnen, Vorgesetzte und Institutionen haben mir meinen Weg geöffnet.
Ich habe damit eine für ganze Gesellschaften relevante Erfahrung gemacht: Bildung ist der Schlüssel zu einem guten und vor allem zu einem selbstbestimmten Leben. Bildung schafft Wissen, und Wissen macht selbstbewusst. Und wer selbstbewusst ist, traut sich, auf die eigenen Talente und Stärken zu schauen und entsprechend den eigenen, den richtigen Weg im Leben einzuschlagen.
Ja, für Frauen in Deutschland ist alles möglich. Warum sind wir dann heute hier? Warum muss sich etwas ändern? Und: was genau?
Die Antwort darauf ist ganz einfach: Wir haben in Deutschland noch keine echte Parität erreicht. De iure stehen Frauen gleichauf mit Männern, de facto tun sie es oft nach wie vor nicht: Führungspositionen in allen Bereichen sind wesentlich häufiger von Männern besetzt, Frauen werden auch bei gleichwertiger Arbeit und Qualifikation schlechter bezahlt, und das nicht nur unwesentlich. Gerade als Mütter stehen Frauen häufig vor besonderen sozialen Klippen, erleben einen Karriereknick oder sind mit Beruf und Familie doppelt belastet.
Nach wie vor ist es so: Den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit in familiärer Sorge und Pflege übernehmen Frauen. Sie entscheiden sich häufig für Teilzeit und für soziale oder pädagogische Berufe – Berufe in der Bildung, Erziehung, Pflege, die für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft von großer Bedeutung sind, gleichzeitig aber zu gering bezahlt und ungerechterweise auch weniger gesellschaftlich anerkannt sind.
Viele von Ihnen werden es auch in ihrer täglichen Arbeit erfahren: Gleichberechtigung – das haben wir erreicht; gleiche Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen nicht. Und das hat eben auch strukturelle Gründe, anders sind Lohnunterschiede oder die geringere Teilhabe an Führungspositionen nicht zu erklären. Dass diese Strukturen immer weiter fortbestehen können, liegt natürlich auch an der mangelnden Bereitschaft von Männern, Macht und Einfluss nun auch noch mit Frauen zu teilen.
Zudem fehlt in Unternehmen, führenden Behörden oder in der Wissenschaft allzu häufig das, wofür Sie sich hier treffen: Es fehlt die weibliche Perspektive. Viele Frauen erleben spätestens nach Ausbildung und Studium, dass der Beruf und das gesellschaftliche Leben, dass Karrierewege und Lebensgestaltung nach Spielregeln laufen, die Frauen nicht mitgestaltet haben. Und die, sicher auch deshalb, oft nicht mit ihren Lebensentwürfen, -vorstellungen und ihren Träumen zu verbinden sind.
Bekannt sind diese Phänomene schon lange, geändert hat sich wenig. Was können wir also tun?
Zunächst ist für mich ganz klar: Wir müssen die Parität zu einem wichtigen politischen und gesellschaftlichen Ziel erklären. Für mich heißt das: Der Gesetzgeber ist in der Verantwortung.
Entscheidend ist aber auch, was Sie hier mit dem Plan W-Kongress tun: Debatten führen, sich austauschen, vernetzen, über notwendige Veränderungen und Instrumente zu deren Umsetzung zu sprechen. Wir Frauen müssen uns gemeinsam und füreinander engagieren. Dabei – und das ist mir wichtig – sollten wir uns nicht in ideologischen Grabenkämpfen verlieren. Gemeinsam sollten wir immer dann kämpferisch sein, wenn Diskriminierungen und Hindernisse fortbestehen.
Und wir brauchen Veränderungen in den Köpfen! Frauenthemen müssen endlich auch zu Männerthemen werden. Und dafür braucht es Empathie und die Bereitschaft, die Perspektive des jeweils anderen einzunehmen: des Kollegen ohne Kinder, der Chefin mit Kindern oder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ganz anderen Ideen und Lebensschwerpunkten. Und wir Frauen sollten bisweilen auch die Perspektive auf uns selbst überdenken. Denn es haben sich manche Bremsklötze eingeschlichen in unserem Denken und Verhalten.
Bei einer Diskussionsveranstaltung zu 100 Jahre Frauenwahlrecht erzählte eine führende Journalistin von den unterschiedlichen Erfahrungen, die sie mit weiblichen und mit männlichen Mitarbeitern mache: Eine typische Reaktion von Frauen, denen eine Beförderung oder interessanter Posten angeboten werde, sei die Frage "Und wie kommen sie jetzt gerade auf mich?"; Männer sagten eher Dinge wie: "Ich wundere mich schon seit längerem, warum Sie mich noch nicht gefragt haben."
Ich will mit dieser Anekdote keine Geschlechterklischees befördern. Sondern ich möchte Frauen ermutigen, sich viel und auch mehr zuzutrauen. Ich möchte Sie ermutigen: Seien Sie neugierig und vielleicht auch mal penetrant, nicht jeder muss Sie mögen. Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde, wenn Sie Zweifel haben. Steigen Sie in den Ring und fechten Sie auch Machtkämpfe aus. Denn um nichts anderes geht es: um Macht, und Macht gibt keiner gerne ab, auch Männer nicht.
Aber es ist nicht nur Ihre Aufgabe, dass die Dinge sich ändern. Von Männern erwarte ich, dass sie uns Frauen dabei unterstützen. Es ist in ihrem eigenen Interesse. Die Frage der Parität ist eine Gesellschaftsfrage. Denn nur eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen nicht nur formell gleichberechtigt sind, sondern auch de facto und in gleicher Weise über die Spielregeln mitentscheiden, ist wirklich frei, und – das ist entscheidend – nur so ist sie zukunftsfähig.
Nun stehe ich hier vor Ihnen – vor Frauen, die ihren Weg selbstbewusst gehen, vor erfolgreichen Frauen. Und ich komme mir ein wenig vor, als trüge ich Eulen nach Athen. Sie wollen ja gerade, das unterstelle ich, etwas verändern, Sie tun es bereits und fühlen sich verantwortlich.
Und dabei will ich Sie ausdrücklich unterstützen. Nehmen Sie Ihre Herausforderungen an, setzen Sie fort, wofür Frauen schon lange kämpfen: echte Teilhabe und Parität. Seien Sie selbstbewusst, und haben Sie Vertrauen. Und – das ist mir sehr wichtig: Nehmen Sie dabei die jungen Frauen, die nächste Generation, mit. Seien Sie Rollenmodell, Vorbild und Inspiration. Ermächtigen Sie junge Menschen, ihren eigenen Weg zu gehen. Mein eigener Weg zeigt, wie viel Gutes kluge, entschlossene Vorbilder in einem jungen Leben bewirken können.
Vielen Dank!