Teilnahme an der Jubiläumstagung „25 Jahre Kindernetzwerk e.V.“ in der Charité

Schwerpunktthema: Bericht

1. März 2018

Elke Büdenbender hat am 1. März an der Jubiläumstagung "25 Jahre Kindernetzwerk e. V." in der Charité in Berlin teilgenommen.


Elke Büdenbender hat am 1. März 2018 die Jubiläumstagung des Kindernetzwerkes e. V. besucht und als Schirmherrin der Veranstaltung eine Rede gehalten.

Unter dem Leitmotiv Kindernetzwerk verbindet Menschen, bündelt Wissen und Themen und hilft weiter unterstützt die Organisation seit 1993 bundesweit Eltern von Kindern und Jugendlichen mit schweren chronischen oder seltenen Erkrankungen sowie Behinderungen, den Alltag zu meistern. Sie informieren über die Krankheiten oder Behinderungen, vernetzen mit anderen Betroffenen, klären über Gesetzeslagen auf und versuchen, durch regelmäßige bundesweite Befragungen, die Lebensqualität betroffener Familien zu verbessern.

Weil Menschen mit chronischen und seltenen Erkrankungen heutzutage wesentlich häufiger das Erwachsenenalter erreichen als früher, hilft der Verein auch beim Einstieg ins Berufsleben. Dazu rief er das Modellvorhaben Integration von jungen Menschen mit Einschränkungen in den (1.) Arbeitsmarkt ins Leben.

Ansprache von Elke Büdenbender:

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Wenn ein Kind krank ist, schmerzt das auch die Eltern. Wenn das Kind noch dazu chronisch erkrankt ist, es eine seltene Krankheit oder eine Behinderung hat, wächst die Sorge noch. Zu der Sorge ums Wohlergehen des Kindes kommt diese Herausforderung: das tägliche Leben zu bewältigen. Sich nicht von den Umständen niederdrücken zu lassen. Denn Familien leben die Krankheit mit. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Und dann die vielen Fragen: Wer stellt sicher, dass das Kind notwendige Medikamente bekommt? Wer sorgt dafür, dass es die regelmäßig einnimmt? Und wie wird das organisiert? Wer hilft oder ist da, wenn es um therapeutische Maßnahmen fürs Kind geht? Wer bezahlt die überhaupt? Oder nur schon: Wer bringt das Kind zum Arzt oder zum Therapeuten? 

Als wären diese Fragen nicht schon groß genug, bedrängend auch, weil sie jeden Tag aufs Neue beantwortet werden müssen, es gibt noch größere. Wird das Kind, das geliebte, gehütete, einmal zur Schule gehen können wie alle anderen auch? Was muss es ertragen an Schmerzen, aber womöglich auch an Worten der Mitschüler?

Wenn man doch besser wüsste, was die Krankheit für die Zukunft unseres Kindes bedeutet! Es soll doch ein langes, glückliches Leben führen können, eines, das wir uns alle wünschen.

Kummer, Unruhe, Unsicherheit, Angst ums Kind – alles das kann sich einnisten im Gemüt. Kann Hoffnung nehmen, wo doch Hoffnung das ist, was wir Menschen in Bedrängnis brauchen. Etwas, das uns Mut macht und uns eine Richtung aus dem Kummer aufzeigt.

Wie gut, wenn man dann mit den Fragen nicht allein ist. Wenn man selbst fragen kann: Was geht da vor sich? Was ist das überhaupt für eine Krankheit, was hat es damit auf sich? Wie schaffen wir die Gesundung, die an Leib und, nicht zu vergessen, an der Seele? Und wo sind die anderen, mit denen wir unsere Sorgen, Ängste, Nöte teilen können? Wer teilt seine Erfahrungen mit uns?

Zum Glück sind diese Familien nicht mehr allein. 1993, vor genau 25 Jahren, wurde Kindernetzwerk e. V. gegründet.  Genau deshalb: um Eltern in dieser für die ganze Familie sehr schweren Situation zu unterstützen. Einer trage des anderen Last, auf dass sie leichter wird. Dieser solidarische Gedanke wird hier in die Praxis umgesetzt.

Damals, 1993, war es sogar noch viel schwieriger für die Familien als heute, Antworten zu erhalten. Vor 25 Jahren hatten Kinder mit schwerwiegenden, chronischen oder seltenen Erkrankungen keine Lobby. Und ihre Eltern hatten nicht einmal Zugang zu den für sie wichtigen, oft lebenswichtigen Informationen.

Damals, 1993, war es oft so: Kinder waren krank, aber nicht wirklich umfassend diagnostiziert und somit vielfach lange vergeblich auf der Suche nach der richtigen Behandlung. Allein. Aber die Welt lässt sich gemeinsam einfacher verbessern.

Das wussten auch die Gründungsväter. Der Journalist Raimund Schmid, der Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Hubertus Voß, der Industrielle Gerd Thomas – sie taten sich zusammen für die Kinder und ihre Familien, von denen wir hier reden. Sie traten gemeinsam an gegen das Gefühl der Ohnmacht, gegen Ängste. Sie gaben dem Wunsch nach Stärkung und nach Unterstützung eine Heimat.

Und diese Heimat hat einen Namen: Kindernetzwerk. Der Name ist mehr als ein Titel, er ist Programm. Ein Netz im besten Sinn. Es fängt uns auf, es umfängt uns, kann uns Halt geben, und Struktur auch. Was muss ich wissen, was kann ich tun, was darf ich hoffen – darum geht es. Das zu wissen, darüber aufgeklärt zu werden, ist für Familien in einer solchen Situation existenziell.

Da ist jemand, den ich anrufen kann. Da ist jemand, der mir meine drängenden Fragen beantwortet. Da ist jemand, der mir jemanden nennen kann, der mir diese Fragen beantwortet. Das Netzwerk bedeutet: Wir finden jemanden, der mir all die medizinisch komplizierten Dinge erklärt. Und wenn er sie nur so ausdrückt, dass ich weiß, was ich zu tun habe.

Das Netzwerk ist ein Signal in der Not: Du bist nicht allein!

Kindernetzwerk verbindet Menschen, bündelt Wissen und Themen und hilft weiter – so heißt denn auch das Leitmotiv. Seit 25 Jahren. Unermüdlich – mögen sich auch die Zeiten und mit ihnen manche Inhalte geändert haben. Der wesentliche Inhalt wird sich nie ändern. Im Mittelunkt steht der Mensch. Der kleine. Mit großen Sorgen.

Dieses Denken und Handeln ist es, was mich so anspricht und so beeindruckt. Und das tut sie, die Arbeit des Kindernetzwerks. Denn ich weiß, was eine chronische Krankheit bedeutet, für einen selbst, aber auch für die Familie.

Und weil ich mich hineinfühlen kann in die Menschen, die Sie betreuen, schätze ich das, was sie tun, umso mehr. Sie arbeiten auf drei Ebenen. Die erste: Das Netzwerk vermittelt Fachwissen – über einen bundesweiten Informationspool, eine neue Kindernetzwerk-Akademie und eine Servicestelle für Familien mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Die hat übrigens immer ein Ohr für die Familien und ihre Nöte im Alltag.

Besonders wichtig: Medizinische Inhalte oder Informationen zur Gesetzeslage werden verständlich aufbereitet. Dazu gibt es hilfreiche Adressen und Hilfe zur Selbsthilfe.

Die zweite Ebene ist der Versorgungsbedarf. Wie hoch er ist, wird ermittelt. Dazu wird bundesweit nachgefragt. In jüngster Zeit war es die große bundesweite Versorgungsstudie des Kindernetzwerks bei 1600 Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern. 2017 ging es um die Lebensqualität der betroffenen Familien. Die wesentliche Frage ist ja: Wie und womit wird die Situation verbessert? Und die Antworten fließen in die Gestaltung konkreter Projekte.

Zum Beispiel in eines, das mich sehr beeindruckt und mich in seinen Chancen begeistert. Im Bereich Berufliche Aus- und Weiterbildung hat das Kindernetzwerk ein Modellvorhaben auf den Weg gebracht: Integration von jungen Menschen mit Einschränkungen in den ersten Arbeitsmarkt. Früher erreichten junge Menschen mit chronischen und seltenen Krankheiten das Erwachsenenalter sehr selten. Das ist heutzutage anders, zum Glück. Und darum muss es unsere Aufgabe sein, diesen jungen Menschen die Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Über die Schule hinaus. Also: Welche Berufe passen, welchen Ausbildungsweg sollen sie gehen? Da ist noch einiges zu tun. Hier muss unser Arbeitsmarkt noch an sich arbeiten, weil das Potenzial noch nicht ausreichend erkannt ist. Trotz Fachkräftemangel. Und trotz zum Teil hoher Kompetenz junger beeinträchtigter Menschen.

Ich finde es wichtig, dass jeder junge Mensch seinen eigenen Weg gehen kann. Unabhängig von Geschlecht, Religion oder auch Gesundheitszustand. Die jungen Menschen fördern und bestärken, sie befähigen, ihre eigenen Stärken zu erkennen und ihren Interessen zu folgen – das ist es, was zählt.

Damit das geschieht, was ich mir – gemeinsam mit Ihnen – wünsche, braucht es Menschen, die es tun. Und Strukturen, die es ermöglichen. Strukturen wie Ihre. Denn wer seinen eigenen Weg findet und beschreitet, der hat beste Aussichten, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen. Ein Leben, in dem Krankheit oder Behinderung nicht die Grenzen bestimmen. Wo Selbstvertrauen und Lebensmut im Alltag zu finden sind. Wo Menschen, die helfen, zum Alltag gehören.

Menschen wie Sie, in Aschaffenburg wie in Berlin. 200 Organisationen mit 200.000 assoziierten Mitgliedern im Dachverband für die Eltern-Selbsthilfe, mit einer eigenen Koordinierungsstelle der Eltern-Selbsthilfe hier in der Stadt. Sie selbst machen den ersten Schritt und binden die betroffenen Menschen in die bundesweite Arbeit des Kindernetzwerks ein. In einem einmaligen bundesweiten Netzwerk können junge Menschen unabhängig von der Art ihrer Erkrankung selbst ihre Wünsche und Ziele einbringen. Sie alle machen mit ihrer Arbeit bewusst, was zu leisten ist. In den Familien, aber auch in den Behörden und Regierungen – und das ist die dritte Ebene Ihrer Arbeit. Ja, ganz ohne Politik geht es nicht. Denn die muss doch erfahren, was für chronisch kranke und behinderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von Belang ist.

Heute erfahren es durch dieses Treffen wieder ein paar mehr. Dazu werde ich denen in der Politik, die ich kenne oder treffe, davon erzählen. Dass ich das kann, verdanke ich Ihnen. Und dafür, dass Sie seit 25 Jahren das tun, worüber man gar nicht oft genug reden kann, danke ich Ihnen von Herzen.