Elke Büdenbender hat am 16. Juni 2017 im Rahmen des Antrittsbesuches des Bundespräsidenten in Belgien die soziale Einrichtung Foyer
in der Brüsseler Teilgemeinde Sint-Jans-Molenbeek besucht und damit deren wertvolles Engagement für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Brüssel gewürdigt.
Foyer
ist ein gemeinnütziger Verein, der 1969 als Jugendzentrum gegründet wurde. Neben der klassischen Sozialarbeit geht es ihm vor allem um die Integration und Förderung von Kindern und Jugendlichen aus einem schwierigen sozialen Umfeld in einem multiethnisch geprägten Stadtteil. Sie wünschen sich eine Gemeinschaft, in der die Vielfalt der in ihr lebenden Menschen geschätzt wird, und in der sich jeder gleichberechtigt einbringen kann.
Der Verein hat drei zentrale Einrichtungen: Neben je einer Einrichtung für Männer und Jugendliche gibt es das Haus der Hoffnung
, ein separates Begegnungszentrum für Frauen. Mit einem breiten Angebot, das Sport-, Informatik-, Sprach- und Kochkurse beinhaltet, soll hier das bürgerschaftliche Engagement von Frauen mit unterschiedlichem sozialem und kulturellem Hintergrund gefördert werden.
Im Gespräch mit drei für das Haus der Hoffnung
tätige Mediatorinnen sowie Frauen, die sich selbst Hilfe dort gesucht hatten und nun dort mitarbeiten, erfuhr Frau Büdenbender mehr über die Arbeit der Einrichtung und über die Probleme des Bezirkes, der vor allem seit den Terroranschlägen in Paris im November 2015 sowie in Brüssel im März 2016 negative Schlagzeilen gemacht hat. Tatsächlich gebe es in Molenbeek zwei Teile, berichtete der Vereinsvorsitzende Professor Johan Leman. Im westlichen lebten Menschen der Mittelklasse und im östlichen Menschen verschiedenster Nationen und Kulturen, vor allem aber aus Marokko. Viele von ihnen seien Muslime. Insgesamt lebten rund 95.000 Menschen in Molenbeek, hinzu kämen geschätzt 5.000 illegale Einwanderer. Neue Einwanderer in Brüssel kämen zunächst häufig nach Molenbeek, sagte Leman. Wer erfolgreich sei, verlasse das Viertel dann aber meist wieder.
40 Prozent der Kinder und Jugendlichen lebten in Familien, in denen kein Elternteil erwerbstätig sei, berichtete Leman weiter, und in einem Drittel der Familien gebe es nur noch ein Elternteil. Zu den größten Problemen im Viertel gehörten die hohe Arbeitslosigkeit und Drogen. Etwa 300 Menschen seien bekannte Dschihad-Sympathisanten. Davon seien einige radikale Werber, die nun nicht mehr in Cafés, sondern über die Sozialen Medien versuchten, Jugendliche anzuwerben.
Insgesamt arbeiten für Foyer
zwölf Mediatorinnen, die jeweils eine andere Sprache sprechen. Ihre Aufgabe ist es, zwischen den Menschen und den Behörden sowie Einrichtungen wie Schulen und Kitas, aber auch in Arztpraxen und Krankenhäusern zu vermitteln. Sie selbst müssen neutral bleiben, dürfen keine Partei ergreifen, aber sie können Konflikte entschärfen, indem sie der belgischen Seite die Kultur der Migranten und deren Besonderheiten erklären.
Viele Frauen lebten in traditionellen Familienverhältnissen, in denen der Mann der Versorger der Familie sei und die Frau sich um die Kinder und die Familie des Mannes kümmere, berichteten die Mitarbeiterinnen im Gespräch. Ihnen versucht Foyer
zu vermitteln, dass sie auch eigene Rechte haben. Unter anderem sei es Sport, der ihnen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfe. Sport zu treiben, sei vielen Frauen zuvor völlig fremd gewesen. Nun aber gingen sie schwimmen oder führen Fahrrad – wofür sie vor zehn Jahren noch von den Männern im Viertel beschimpft wurden.
Aber nicht nur die Frauen im Viertel hätten Probleme, sagten die Foyer
-Mitarbeiterinnen. Durch die hohe Arbeitslosigkeit könnten viele Männer nicht mehr ihre traditionelle Rolle des Ernährers der Familie ausüben und seien auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis, was viel Unsicherheit und auch Frustration mit sich bringe.
Für Kinder bietet Foyer
Sprachstandstests an. Durch die Sprachenvielfalt in Belgien fühlten sich viele Kinder, die in der Familie noch dazu eine andere Sprache sprechen, oft in keiner von ihnen richtig zu Hause und wiesen dadurch mitunter Defizite auf, wurde Frau Büdenbender berichtet. Foyer
helfe, Lösungen für das Sprachproblem des jeweiligen Kindes zu finden. Ein Problem sei, dass viele traditionelle Familien einen frühen Eintritt in den Kindergarten nicht gutheißen. Hier versucht Foyer
, diese Familie davon zu überzeugen, dass dies aber große Vorteile im Hinblick auf die Integration und den Spracherwerb mit sich bringen kann.
Neben der Perspektivlosigkeit nennt Foyer
vor allem die Abschottung der Kulturen untereinander als großes Problem. Eine Öffnung gegenüber der Vielfalt sei dringend nötig, sagte die Direktorin, Frau Loredana Marchi. Die Kulturen müssten in den Dialog treten und Orte für den Austausch im öffentlichen Raum geschaffen werden. Nur so könne den Menschen hier Hoffnung gegeben werden. Die Berichterstattung über Molenbeek nach den Anschlägen habe allen hier lebenden Menschen sehr geschadet und die Hoffnungslosigkeit verstärkt. Menschen und Behörden misstrauten einander.
Nach dem Gespräch besuchte Frau Büdenbender noch das von Foyer
betriebene Museum gegen Vorurteile
für Kinder und Jugendliche. Diese lernen hier zu unterscheiden zwischen dem, was man sie glauben machen möchte, und dem, was sie wirklich sehen und denken. Ziel ist es, die Kinder davor zu schützen, auf die schiefe Bahn zu geraten und zum Beispiel von Dschihad-Sympathisanten angeworben zu werden. Waren die Attentäter von Brüssel noch in Cafés rekrutiert worden, geschehe das heutzutage vor allem über die Sozialen Medien. Kinder sollen gestärkt werden, nicht alles zu glauben und Abwerbungsversuchen zu widerstehen.
Zu hören, wie vielfältig die Kulturen und Traditionen der Menschen sind, die in Molenbeek wohnen, und zu erfahren, wie umsichtig und kompetent die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 'Foyer' damit umgehen und darauf eingehen, hat mich sehr beeindruckt
, sagte Frau Büdenbender. Und solch ein Museum ist in unserer heutigen Zeit von unschätzbarem Wert – nicht nur in einem so facettenreichen Viertel wie Molenbeek. Die Informationsquellen, die unseren Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, werden immer komplexer. Sachverhalte richtig einordnen zu können, wird somit immer wichtiger.