Verfassungsrechtliche Grundlagen
Der Verfassungsgeber hat im Grundgesetz das Amt des Bundespräsidenten aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung konzipiert. Nach der Ausgestaltung seines Amtes ist er nicht einer der drei klassischen Gewalten zuzuordnen. Er verkörpert die Einheit des Staates. Autorität und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist.
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10. Juni 2014, 2 BvE 2/09)
Art. 54 bis 61 GG
Das Grundgesetz enthält einen eigenen Abschnitt (Abschnitt V., Art. 54 bis 61 GG) über den Bundespräsidenten. Außer in diesem Abschnitt sind seine Befugnisse und Aufgaben teils verstreut im Verfassungstext, teils im einfachen Recht geregelt, teils haben sie sich im Laufe der Zeit durch eine stetige Übung zu einer Staatspraxis hin entwickelt.
Abkehr von Weimar
Herkömmlich werden die Aufgaben und Befugnisse des Bundespräsidenten im Vergleich zu denen des Reichspräsidenten nach der Weimarer Reichsverfassung beschrieben. Der Reichspräsident wurde unmittelbar vom Volk gewählt; er war mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet und stellte eine Art Ersatzkaiser
dar. In parlamentarischen Krisensituationen sollte der Reichspräsident in der Lage sein, selbst die Staatsgeschäfte maßgeblich zu beeinflussen. Reichspräsident von Hindenburg nutzte diese Möglichkeiten gegen Ende der Weimarer Republik in unheilvoller Weise. Als historische Konsequenz entschied sich der Parlamentarische Rat dafür, die politischen Rechte des Bundespräsidenten stark zu begrenzen, ohne auf dieses Amt zu verzichten. Der Bundespräsident sollte weiterhin ein Repräsentant der Volkseinheit
sein (vgl. Süsterhenn, in: Parlamentarischer Rat, 2. Sitzung, Sten. Bericht, S. 25; ferner Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 54 Rn. 28, Januar 2009; Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 54 Rn. 2).
Staatstheoretische Funktion
Demgemäß sollte der Bundespräsident gegenüber anderen Organen möglichst unabhängig, insbesondere nicht verantwortlich im parlamentarischen Sinne sein (…) und eine ausgleichende Stellung haben (…). Der Bundespräsident lässt sich nach der Ausgestaltung seines Amtes nicht einer der drei klassischen Gewalten zuordnen (…). Er verkörpert die Einheit des Staates. In diesem Sinne ist er das Staatsoberhaupt (…). Ihm kommen über die ihm von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus (…) vor allem allgemeine Repräsentations- und Integrationsaufgaben zu. Im Krisenfall ist er zu politischen Leitentscheidungen berufen ….
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10)
Der Bundespräsident ist Staatsoberhaupt. Auch wenn es keine Hierarchie zwischen den Verfassungsorganen gibt, steht er protokollarisch an der Spitze des Staates. Er ist dasjenige Verfassungsorgan, das die Einheit der Bundesrepublik Deutschland verkörpert und nach innen und außen repräsentiert. Dies geschieht, indem der Bundespräsident durch sein Handeln und öffentliches Auftreten den Staat selbst – seine Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit – sichtbar macht. Darin kommen zugleich die Integrationsaufgabe und die rechts- und verfassungswahrende Kontrollfunktion seines Amtes zum Ausdruck. Sie wird ergänzt durch eine politische Reservefunktion für Krisensituationen des parlamentarischen Regierungssystems, etwa im Fall, den Artikel 68 GG regelt (Verlust der Zustimmung zu Person und Sachprogramm des Bundeskanzlers, Anberaumung von Neuwahlen durch den Bundespräsidenten auf Bitten des Bundeskanzlers).
Aufgaben
Zu den klassischen Funktionen, die der Bundespräsident als Staatsoberhaupt hat, gehören:
- die Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen (durch sein öffentliches Auftreten bei staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen, durch Reden, durch Besuche in Ländern und Gemeinden, durch Staatsbesuche im Ausland und den Empfang ausländischer Staatsgäste),
- die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland (Artikel 59 Absatz 1 Satz 1 GG), der Abschluss von Verträgen mit auswärtigen Staaten (Artikel 59 Absatz 1 Satz 2 GG), die Beglaubigung (Bestellung) der deutschen diplomatischen Vertreter und der Empfang (Entgegennahme der Beglaubigungsschreiben) der ausländischen Diplomaten (Artikel 59 Absatz 1 Satz 3 GG).
Zu den wichtigsten weiteren Aufgaben zählen:
- der Vorschlag für die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 GG),
- die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers (Art. 63, 67 GG) und der Bundesminister (Art. 64 GG),
- die Auflösung des Bundestages (Art. 63 Abs. 4 Satz 3, Art. 68 GG),
- die Ausfertigung (Unterzeichnung) und Verkündung von Gesetzen (Art. 82 GG),
- die Ernennung und Entlassung der Bundesrichter, der Bundesbeamten, der Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 Abs. 1 GG),
- das Begnadigungsrecht für den Bund (Art. 60 Abs. 2 GG),
- das Ordensrecht des Bundes.
Prägung des Amtes durch die Person
Der Bundespräsident ist das einzige Verfassungsorgan, das kein Kollegialorgan ist, sondern nur aus einer Person besteht. Die Persönlichkeit des Organwalters prägt deshalb zwangsläufig die Amtsführung in besonderem Maße. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat die bisherige Staatspraxis maßgeblichen Einfluss auf die heutige verfassungsrechtliche Stellung des Bundespräsidenten.
Auch wenn es keine Vorschrift im Grundgesetz gibt, die dem Bundespräsidenten politische Stellungnahmen ausdrücklich verbietet, so hält sich das Staatsoberhaupt in aller Regel mit öffentlichen Äußerungen zu tagespolitischen Fragen zurück. Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, es entspräche den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahre (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10.
Dies gilt insbesondere in Bezug auf parteipolitisch umstrittene gesellschaftliche Fragen. Die vom Bundespräsidenten gewahrte parteipolitische Neutralität und Distanz zur Parteipolitik des Alltags geben ihm die Möglichkeit, klärende Kraft zu sein, Vorurteile abzubauen, Bürgerinteressen zu artikulieren, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen, Kritik zu üben, Anregungen und Vorschläge zu machen.