Bundespräsident Horst Köhler fertigt Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung nicht aus

Pressemitteilung vom 24. Oktober 2006

Bundespräsident Horst Köhler hat entschieden, das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung nicht auszufertigen. Er hat seine Entscheidung in gleich lautenden Briefen der Bundeskanzlerin, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und dem Präsidenten des Bundesrates mitgeteilt.

Der Bundespräsident hat gemäß Artikel 82 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) die verfassungsrechtliche Pflicht, die ihm zur Ausfertigung vorgelegten Gesetze darauf zu prüfen, ob sie "nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes" zustande gekommen sind. Er ist nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass das am 7. April 2006 vom Bundestag verabschiedete Gesetz gegen Art. 87 d Abs. 1 GG verstößt. Zur evidenten Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung führen

  • die Unvereinbarkeit einer kapitalprivatisierten Flugsicherungsorganisation mit dem Erfordernis der bundeseigenen Verwaltung,
  • die sich aus dem Flugsicherungsgesetz unmittelbar ergebende zeitliche Befristung der vorgesehenen Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes sowie
  • die geringen gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten aufgrund einer Minderheitsbeteiligung.

Die Entscheidung des Bundespräsidenten richtet sich nicht gegen die Privatisierung einer staatlichen Aufgabe. Eine solche Privatisierung kann jedoch nur nach Maßgabe des geltenden Verfassungsrechts erfolgen. Dem Gesetzgeber ist es unbenommen, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für sein Vorhaben zu schaffen.

Sachverhalt:

Gemäß Art. 87 d Abs. 1 GG wird die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt. Über die öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche Organisationsform wird durch Bundesgesetz entschieden. § 31 b Abs. 1 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) in der geltenden Fassung enthält dementsprechend die Ermächtigung, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile ausschließlich vom Bund gehalten werden, mit der Wahrnehmung von Flugsicherungsaufgaben zu beauftragen. Die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) befindet sich derzeit im Alleineigentum des Bundes.

Das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung führt in Artikel 1 das Flugsicherungsgesetz (FSG) ein und nimmt in Artikel 2 eine Reihe von Änderungen im bestehenden Luftverkehrsgesetz vor. Durch das Gesetz soll nunmehr insbesondere eine sog. Kapitalprivatisierung der DFS ermöglicht werden, indem § 31 b LuftVG aufgehoben wird (Artikel 2 Nr. 19 des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung). Die Flugsicherung soll künftig einer beliehenen Flugsicherungsorganisation vorbehalten sein, an der der Bund nur noch eine Beteiligung von mindestens 25,1 % der Geschäftsanteile halten muss (§ 16 Abs. 3 FSG). Damit wird der Verkauf von bis zu 74,9 % der Geschäftsanteile an der Flugsicherungsorganisation durch den Bund an private Investoren möglich.

Verfassungsrechtliche Bewertung:

Der Bundespräsident sieht in diesem Gesetz einen Verstoß gegen Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 GG, der für die Flugsicherung bundeseigene Verwaltung vorgibt. Die Flugsicherung ist eine sonderpolizeiliche Aufgabe und somit hoheitlich wahrzunehmen. Damit verbleibt die Aufgabenverantwortung unabhängig von der Ausgestaltung der Aufgabe rechtlich beim Bund (sog. staatliche Gewährleistungsverantwortung). Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Vorschrift ist die Sicherstellung der jederzeitigen Durchsetzung des staatlichen Willens bei der Wahrnehmung sonderpolizeilicher Aufgaben. Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt deshalb lediglich eine Organisationsprivatisierung.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Kapitalprivatisierung der Flugsicherung durch Art. 87 d Abs. 1 GG nicht gänzlich ausgeschlossen wäre, werden die im Gesetz vorgesehenen Regelungen über die Beaufsichtigung einer privatisierten Flugsicherungsorganisation nicht der Gewährleistungsverantwortung gerecht, die der Staat für die hoheitliche Aufgabe der Flugsicherung hat. Auch nach Auffassung des Gesetzgebers verlangt Artikel 87 d Abs. 1 GG ausreichende Steuerungs- und Kontrollrechte (sog. Ingerenzrechte) gegenüber einer privatrechtlich organisierten Flugsicherungsorganisation (vgl. BT-Drs. 16/240, S. 18).

Die im Flugsicherungsgesetz vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Ingerenzbefugnisse des Bundes sind zwar beachtlich und an sich geeignet, den "von außen" gegenüber der Flugsicherungsorganisation geltend zu machenden Bundeseinfluss sicherzustellen. Sie können aber die verfassungsrechtlich gebotene Steuerung und Kontrolle nicht auf Dauer gewährleisten, denn § 16 Abs. 6 Satz 1 FSG sieht die Möglichkeit vor, die Hauptbetriebsstätte ins Ausland zu verlagern. Nach Ablauf von 20 Jahren kann eine solche Verlagerung in das Ausland erfolgen, ohne dass eine gesetzliche Voraussetzung hierfür oder für die Wahrnehmung der Ingerenzrechte des Bundes normiert wäre. Die Aufsicht über die Tätigkeit der Flugsicherungsorganisation wäre in einem solchen Fall erheblich erschwert, realistischerweise ausgeschlossen.

Darüber hinaus verfügt der Bund, wenn er - wie vorgesehen - nur noch 25,1 % der Anteile an der Flugsicherungsorganisation hält, gesellschaftsrechtlich nicht über die verfassungsrechtlich zwingenden Instrumente zur operativen Steuerung des Unternehmens. Eine Sperrminorität von 25,1 % vermittelt nur eine Vetoposition. So können zwar Satzungsänderungen verhindert werden, eine Einflussnahme auf die operative Geschäftsführung ist rechtlich aber nicht möglich. Schließlich werden diese (verfassungsrechtlich zu) geringen gesellschaftsrechtlichen Ingerenzmöglichkeiten des Bundes dadurch vollständig entwertet, dass sie nach Ablauf eines Übergangszeitraums von 16 bzw. 20 Jahren (§ 16 Abs. 3 Satz 1 FSG) gesetzlich nicht mehr festgeschrieben sind. Nach Ablauf des Übergangszeitraums besteht im Flugsicherungsgesetz keine Vorkehrung für eine obligatorische Bundesbeteiligung an der Flugsicherungsorganisation. Folglich wäre dann eine Kapitalprivatisierung zu 100 % möglich. Der Bund hätte in diesem Fall jeden gesellschaftsrechtlichen Einfluss innerhalb des Unternehmens verloren.

Somit hält das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung auch in Bezug auf die notwendigen gesellschaftsrechtlichen Sicherungen des verfassungsrechtlich erforderlichen Bundeseinflusses den Mindestanforderungen des Art. 87 d Abs. 1 GG nicht Stand.