Pressemitteilung vom 12. Januar 2005
Bundespräsident Horst Köhler hat gestern das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ausgefertigt und den Auftrag zur Verkündung im Bundesgesetzblatt erteilt. Er hat zeitgleich mit der Ausfertigung in gleichlautenden Briefen an den Bundeskanzler, den Präsidenten des Deutschen Bundestages und den Präsidenten des Bundesrates Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einzelner Vorschriften des Gesetzes geäußert.
Der Bundespräsident hat das Gesetz im Rahmen der ihm gemäß Art. 82 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zukommenden Prüfungskompetenz eingehend auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft.
Das Gesetz sieht neben der Änderung einzelner Gesetze die Einführung des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) vor. Das Gesetz ist vor dem Hintergrund der terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 und dem Luftzwischenfall vom 5. Januar 2003 über Frankfurt entstanden. Es dient insgesamt dazu, neuen Bedrohungslagen zu begegnen. Das Gesetz enthält insbesondere eine Einsatzbefugnis für die Bundeswehr, Waffengewalt gegen Luftfahrtzeuge einzusetzen, die das Leben von Menschen bedrohen (§§ 13, 14 LuftSiG).
Der Bundespräsident hat erhebliche Zweifel, ob § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem grundrechtlich garantierten Recht auf Leben und der Gewährleistung der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar ist. In letzter Konsequenz erlaubt die Vorschrift des § 14 LuftSiG den Abschuss eines Flugzeuges, das das Leben außerhalb des Flugzeuges befindlicher Menschen bedroht, selbst wenn es mit unbeteiligten Dritten besetzt ist. Damit wird Leben zugunsten anderen Lebens geopfert. Nach bisher übereinstimmender Auffassung in der Verfassungsrechtsprechung und -literatur ist eine Abwägung Leben gegen Leben im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 GG (Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Achtung der Menschenwürde) unzulässig.
Weiterhin hat der Bundespräsident verfassungsrechtliche Zweifel, ob § 13 LuftSiG, der den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe vorsieht, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Denn die Bundeswehr kann außer im Verteidigungsfall (Art. 87a Abs. 2 GG) nur in den vom Grundgesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen eingreifen. Zwar erlauben Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen solchen Bundeswehreinsatz. Hierbei handelt es sich aber um Vorschriften im Kontext der Amtshilfe. Nach bisherigen Rechtsgrundsätzen wird die Bundeswehr in diesen Fällen nur unter Leitung der zuständigen Landesbehörden und auf der Grundlage des einschlägigen Landesrechts tätig. Diese von Art. 35 GG vorausgesetzten Grundsätze ändert § 13 LuftSiG zugunsten eines eigenen Rechtsregimes für die Bundeswehr. Es ist zweifelhaft, ob für eine solche einfachgesetzliche Regelung ein Gesetzgebungsrecht des Bundes besteht, zumal eine dem § 14 Abs. 3 LuftSiG entsprechende Befugnis (unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt) bisher weder in den für die Bundeswehr geltenden Vorschriften über die Anwendung unmittelbaren Zwanges noch im Polizeirecht der Länder vorhanden ist.
In seinen Briefen hat der Bundespräsident seine Entscheidung, das Gesetz trotz der Bedenken auszufertigen, wie folgt begründet:
"Wenn ich trotz der Zweifel an einer ausreichenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zu § 13 und meiner Überzeugung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG in Ausübung des mir zustehenden Ausfertigungsermessens das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, das neben der Einführung des Luftsicherheitsgesetzes Änderungen anderer Gesetze und Verordnungen vorsieht, ausgefertigt habe, so geschah dies vor dem Hintergrund der Gesamtkonzeption des Gesetzes einerseits und den Befugnissen des Bundespräsidenten andererseits. Denn anders als das Bundesverfassungsgericht, das einzelne Vorschriften eines Gesetzes für unwirksam erklären kann, bin ich nicht befugt, ein mir zur Ausfertigung vorgelegtes Gesetz nur teilweise in Kraft zu setzen.
Auch wenn die Regelungen der §§ 13 und 14 Abs. 3 LuftSiG meines Erachtens verfassungsrechtlich höchst bedenklich sind, so halte ich die übrigen Vorschriften des Gesetzes wegen der gesteigerten Bedrohungslage für dringend erforderlich. Daher halte ich durch meine Entscheidung nicht die für die Abwehr von terroristischen Bedrohungen notwendigen zusätzlichen Sicherheitsanforderungen auf. Hierbei war für mich auch entscheidend, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Fallgestaltung zugrunde liegt, die höchst außergewöhnlich ist, und zu der es - so hoffe ich - in der Praxis niemals kommen wird.
Zugleich mache ich mit dieser Entscheidung den Weg frei für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung, die jeder Betroffene auch unter Hinweis auf die von mir aufgezeigten Bedenken durch das Bundesverfassungsgericht vornehmen lassen kann."