Ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein. Gleich zweimal gibt es Grund zur Gratulation. Wir ehren Preisträger, und wir ehren gleichzeitig die Preisstifter für Verdienste, die Hoffnung wecken – Hoffnung auf etwas, das alle hier im Saal miteinander verbindet: auf Fortschritte im Kampf gegen seltene Erkrankungen.
Wem der Eva Luise Köhler-Preis heute zuerkannt wird und wodurch sich die Arbeit des Preisträgers auszeichnet, das werden wir nachher erfahren. Aber lassen Sie mich schon an dieser Stelle erwähnen, warum die Träger dieses Preises herausragen: weil sie in der Überzeugung forschen, dass alle Menschen, auch solche mit seltenen Erkrankungen, vom wissenschaftlichen Fortschritt profitieren sollten.
Dafür bedarf es jedoch der Unterstützung – Unterstützung, wie sie die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung leistet. Forschen, vernetzen, heilen – diesen Dreiklang, liebe Frau Köhler, lieber Herr Köhler, haben Sie Ihrer Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen zugrunde gelegt, übrigens der ersten Stiftung ihrer Art in Deutschland. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrem zehnten Gründungsjubiläum!
Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass viele Menschen in Deutschland eigentlich nur darauf warten, dass sie angestiftet werden, die Potenziale, Gutes zu tun, in sich selbst zu entdecken. In den Medien wurde jüngst berichtet, dass die Menschen in Deutschland mehr gespendet haben als je zuvor. Das ist ein großartiges Signal dafür, dass wir in diesem Land unsere Seele nicht allein dadurch sättigen können, dass wir wirtschaftlich erfolgreich sind und dass wir auch in der Politik alles Mögliche darstellen. Das Land braucht zusätzliche Möglichkeiten, um an sich zu glauben, um sich zu schmücken, um sich erst zu nehmen. Und darum ist es so wichtig, dass wir miteinander die Räume ausleuchten, in denen noch mehr menschliches Engagement erforderlich ist. Und deshalb will ich bei dieser Gelegenheit die Arbeit der Stiftungen im Land ausdrücklich rühmen und hervorheben. Und nun komme ich zurück zu Ihrer so besonderen Stiftung.
Das war nicht selbstverständlich, ein neues Feld zu entdecken und aufzutun und vor die Augen der Öffentlichkeit zu bringen. Denn viele Menschen denken: Wir haben doch Zuständige. Wir haben Institutionen und Stiftungen und engagierte Bürgerinnen und Bürger.
Aber dann ist plötzlich etwas da, wo man spürt: Hier bin ich besonders herausgefordert.
Und so ist es für mich wichtig, dass ich Sie auch dafür rühmen kann, dass Sie dieses Netzwerk für seltene Krankheiten um ein wichtiges Projekt bereichert haben. Die meisten der seltenen Krankheiten lassen sich ja bislang nicht heilen. Aus dieser schmerzlichen Erfahrung ist Ihre Stiftungsinitiative entstanden. Und wenn es schon keine Heilung gibt, dann ist es umso wichtiger, Therapien zur Leidensminderung zu finden. Deshalb ist es so wichtig, dass mehr zu den Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten seltener Erkrankungen geforscht wird.
Mit Ihrem Forschungspreis haben Sie, liebes Ehepaar Köhler, dazu beigetragen, dass sich mehr Wissenschaftler der Entschlüsselung und Behandlung solcher Krankheiten widmen. Und dank Ihrer finanziellen Unterstützung konnten ja bereits vielversprechende Fortschritte bei der Entwicklung medikamentöser Behandlungsformen erzielt werden. Aber immer noch ist Pionierarbeit zu leisten. Da sind gerade auch junge Forscherinnen und Forscher gefragt – jene, für die Sie mit der Vergabe von Stipendien künftig zusätzliche Anreize setzen wollen.
Menschen mit seltenen Krankheiten Hilfe zu leisten, das ist für Sie Herzenssache. Schon bevor Sie, liebe Frau Köhler, gemeinsam mit Ihrem Mann die Stiftung gründeten, übernahmen Sie die Schirmherrschaft von ACHSE
, also der Allianz Chronisch Seltener Erkrankungen
. Praktisch seit den Anfängen dieses Netzwerkes helfen Sie, Menschen mit seltenen Erkrankungen eine Stimme zu geben. Und zum Glück werden es immer mehr Stimmen, die auch immer mehr Gehör finden.
Dank großer Anstrengungen vieler Engagierter ist es in den zehn Jahren Ihrer Stiftungsarbeit gelungen, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Menschen mit seltenen Krankheiten besonderer Unterstützung bedürfen. Auch durch Aktionen wie dem Tag der Seltenen Erkrankungen
, der ja erst vergangene Woche an zahlreichen Orten und Einrichtungen begangen wurde. Fortschritte gibt es auch in der medizinischen Infrastruktur. Seit im Jahre 2009 in Freiburg das erste deutsche Zentrum für Seltene Krankheiten gegründet wurde, sind an deutschen Universitätskliniken rund zwei Dutzend Spezialeinrichtungen entstanden, die sich der Erforschung und Behandlung seltener Krankheiten widmen. Oft sind diese Zentren die einzigen Orte, die den Patienten Aussicht auf Hilfe gewähren können.
Für die Weitergabe von Expertenwissen spielt nun Vernetzung im Kampf gegen seltene Krankheiten eine Schlüsselrolle. Hier gibt es dankenswerterweise ebenfalls Entwicklungen, die zuversichtlich stimmen. Etwa wenn wir an die Gründung des Nationalen Aktionsbündnisses NAMSE
denken. Mehr als fünfzig Maßnahmen und Projekte umfasst der Nationale Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen
, den die Bündnispartner vor drei Jahren verabschiedet haben. Es gibt also ehrgeizige Ziele, allen voran das Ziel, ein Netz zertifizierter Fachzentren zu schaffen, die Expertise soll gebündelt werden und eine intensivere Forschung soll ermöglicht werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle daran erinnern, dass es die Europäische Union war, die den Mitgliedstaaten Aktionspläne für Menschen mit seltenen Krankheiten empfahl. Überhaupt hat die Europäische Union in den vergangenen Jahren eine Vorreiterrolle gespielt bei dem Bemühen, Patienten zu helfen, die an seltenen Krankheiten leiden. Ich denke, solche guten Ergebnisse europäischer Zusammenarbeit sollen gerade in dieser Zeit einmal gewürdigt werden, wo es en vogue ist, die Europäische Union in besonders schlechtem Licht darzustellen.
Trotz erfolgreicher Projekte zur Behandlung seltener Krankheiten bleibt weiterhin sehr viel zu tun. Dazu genügt ein Blick in den Zwischenbericht zur Umsetzung des nationalen Aktionsplans. Vieles braucht Zeit, weil sich auf der Landkarte für Seltene Erkrankungen noch so zahlreiche weiße Flecken befinden. Was das bedeutet, wissen viele von Ihnen hier im Saal aus eigener leidvoller Erfahrung. Ich bin dankbar, dass Sie diese Veranstaltung zum Jubiläum besuchen. Sie, die Erkrankten, kennen das Leben zwischen Hoffen und Bangen. Sie haben erfahren, was es bedeutet, jahrelang im Ungewissen über eine Krankheit zu leben. Wie es sich anfühlt, analytisch zerlegt zu werden, in eine Unmenge von Befunden und medizinischen Daten – um dann am Ende zu erfahren, dass es zwar einen Namen, aber noch keine Therapie für Ihre Krankheit gibt. Die meisten von uns, die wir nicht an einer seltenen Krankheit leiden, wir ahnen ja nicht, wie kräftezehrend das sein muss, übrigens auch für die Angehörigen.
Wir sind es gewöhnt, Krankheit zu kategorisieren, so funktioniert unser Gesundheitssystem nun einmal. Behandlungen sind standardisiert, Abläufe strukturiert, Abrechnungen genau vorgegeben. Seltene Erkrankungen fügen sich in dieses System trotz mancher Reformen nur sehr schwer ein. Vor allem aber fügen seltene Krankheiten sich meist nicht der Erwartung, dass das Kranksein lediglich eine Unterbrechung bedeutet, dass die Gesundheit bald wiederhergestellt ist und dass das gewohnte Leben dann weitergeht. Behandelt zu werden, statt selbst handeln zu können – für viele Menschen mit seltenen Erkrankungen wird diese Erfahrung lebensbestimmend.
Die Sehnsucht nach Fortschritten der Forschung ist deshalb nur allzu verständlich, zumal die schlimme Diagnose unheilbar
auch zahlreiche Kinder trifft. Aber gerade Studien mit Kindern und Jugendlichen machen doch auch Mut, weil sie zeigen, dass Forschungskooperationen Erfolge, manchmal gar Durchbrüche ermöglichen. Ich möchte deshalb alle Engagierten bestärken, ihre Anstrengungen fortzusetzen, ja wenn möglich, noch zu verstärken. Gerade auch das Zusammenwirken von Forschung und Selbsthilfe ist unverzichtbar.
Ich würde mir wünschen, dass Ihr Engagement, Frau Köhler, und das Engagement so vieler Menschen hier im Saal, noch weitere Kreise zieht. So hat sich doch gezeigt, dass mehr geforscht wird, wo Patientenorganisationen als treibende Kraft beteiligt sind, wo sie Forschern ihr erlebtes Wissen über seltene Krankheiten vermitteln können. Selbsthilfeverbände helfen ja auch, Patienten für klinische Studien zu finden. Wenn ich höre, wie viel Mühe es zum Beispiel kostete, für eine Studie zu einer seltenen Stoffwechselkrankheit 300 Probanden zu gewinnen – und dass die Patienten aus zwanzig Ländern auf vier Kontinenten kamen, dann zeigt das doch, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Forschern und Betroffenen auch über Ländergrenzen hinweg ist.
Der Dialog zwischen Wissenschaft und Selbsthilfeverbänden erscheint mir aber auch noch aus einem anderen Grunde wesentlich zu sein. So gibt es große Erwartungen, dass es mit Hilfe innovativer Verfahren etwa der Molekularbiologie, der Genmedizin, auch der Neurowissenschaften gelingt, seltene Erkrankungen zu heilen oder am besten gleich zu verhindern. Individualisierte Medizin
so lautet das Zauberwort. Diese Forschung, das wissen wir alle, bringt aber auch große Verantwortung mit sich. Dort, wo die Wissenschaft bis zu den Erbinformationen vordringt, wo sie kognitive Fähigkeiten und Gehirnprozesse erforscht, womöglich auch verändert, stellen sich ja grundlegende ethische Fragen: Welches Verständnis werden wir künftig von der Persönlichkeit und von der Autonomie kranker Menschen haben? Was ist zu tun, wenn das Recht auf Wissen und Nichtwissen bei Erbkrankheiten miteinander in Konflikt geraten? Dieser schwierige Dialog fordert uns alle – Wissenschaft, Bürgergesellschaft und Politik – weil es dabei um nichts weniger geht als um unser Menschenbild.
Die modernen Möglichkeiten, menschliche Grundstrukturen zu erforschen, geben uns Hoffnung, dass es gelingt, neue Wege der Heilung zu entdecken, gerade auch für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Aber neben den notwendigen wissenschaftlichen Anstrengungen muss – das möchte ich hier zum Schluss betonen – stets noch etwas hinzukommen, etwas, das Sie alle hier im Saal miteinander verbindet: Ich meine die Bereitschaft, mit vereinten Kräften Lebenswege zu gestalten, die von Krankheit und Leid überschattet sind. Und indem Sie das tun, vermitteln Sie uns allen eine wichtige Botschaft: in jedem Patienten, mag er an einer seltenen oder an einer verbreiteten Erkrankung leiden, nicht nur den Kranken, sondern stets den Menschen zu erkennen.
Ihnen, liebe Eva Luise Köhler und Ihnen, lieber Horst Köhler sowie all Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern sage ich an diesem Jubiläumstag von Herzen Dank für Ihren unermüdlichen Einsatz, für Ihre Großzügigkeit, vor allem aber für Ihre Menschenliebe.