Die literarischen Anspielungen zum Thema Übersetzen noch im Ohr, kann ich es mir nicht verkneifen, auf eine kleine – wenn Sie so wollen – theologische Pointe im zitierten Faust-Monolog hinzuweisen, die meiner Kenntnis nach viel zu wenig beachtet wird.
Als Faust seine Übersetzung des ersten Satzes aus dem Johannesprolog, wie er meint, mit der Formulierung Im Anfang war die Tat!
endlich gefunden hatte – genau in diesem Moment, da suchte ihn der Teufel heim! Oder besser gesagt: Der zugelaufene Pudel übersetzt sich selbst – und wird Mephisto: des Pudels Kern
!
Das ist – wie alles in diesem grandiosen Werk – natürlich kein Zufall. Goethe weiß, dass derjenige, der aktionistisch die Tat als Anfang, als Prinzip von allem bestimmt, schon auf einer abschüssigen, ja letztlich teuflischen Bahn sich befindet. Was so beginnt, das wissen wir alle, endet am Schluss, im Faust II, bekanntlich mit einer Weltgestaltung, die von Weltzerstörung nicht mehr zu unterscheiden ist.
Nein, der Logos
aus dem Johannesevangelium ist nicht die Tat, er ist das Wort, er ist die Sprache, der Sinn, der geistige und geistliche Weltzusammenhang, die Ordnung des Kosmos: Im Anfang war der Logos.
Wo wir schon beim Griechischen sind, kann man noch darauf hinweisen, dass der griechische Name für den Teufel, für den Mephisto Diabolos
ist, und das ist der große Durcheinanderbringer
, der Feind und Vernichter jeder Ordnung, der Zerstörer jedes Sinnes.
Mit dieser Bezeichnung wäre der Teufel auch der Gegner der Übersetzer – die ja gerade Zeugen dafür sind, dass es überhaupt Sinn gibt, also auch Entsprechung zwischen einander zunächst fremden Strukturen. Dass es eine entschlüsselbare Bedeutung des auf den ersten Blick Unverständlichen gibt. Dass sich wahrscheinlich jedes bedeutungsvolle Sprachphänomen sinnvoll in ein anderes bedeutungsvolles Sprachphänomen übersetzen lässt.
Wer übersetzt, der hat eine Ahnung und der gibt letztlich eine Ahnung davon, dass etwas die Welt als ganze im Innersten zusammenhält. Und wenn Sie so wollen, ist allein die Tatsache, dass es Übersetzung gibt, dass Übersetzung möglich ist, der Beweis dafür, dass es einen allem Sein zugrundeliegenden, allen sich sprachlich artikulierenden Wesen erreichbaren und einsehbaren Sinn gibt.
Mit Kant zu sprechen: Die sinnvoll strukturierte, verstehbare und sagbare Welt ist die notwendige Bedingung der Möglichkeit dafür, dass so etwas wie Übersetzung überhaupt gelingen kann. Folgen wir diesem Gedanken, dann sind Übersetzer also gleichzeitig Zeugen und Vollstrecker einer sprachlichen Metaphysik.
Ich kann es natürlich auch etwas einfacher sagen. Dann würde der Satz heißen: Wir können einander verstehen. Aber was so einfach klingt, ist doch eigentlich, wenn es denn geschieht, jedes Mal ein Wunder. Wir können einander verstehen: Das ist die zentrale philosophische Bedeutung von Übersetzung, die aber gerade heute auch ungemein politische Bedeutung hat.
Wir reden oft und manchmal zu schnell vom Kampf der Kulturen und vom Aufeinanderprallen der Zivilisationen – und wir meinen täglich Beispiele dafür zu erleben, dass verschiedene Welten und ihre Bewohner sich mit Verständnislosigkeit oder sogar mit Unverstand gegenüberstehen. Dagegen aber sagt jede Übersetzung, sagt das Phänomen der Übersetzung selbst: Doch, wir können uns verstehen! Und mögen wir auch Fremdheit empfinden – es gibt keine absolute Fremdheit, kein absolutes Nicht-Verstehen, wo immer Menschen sprechen, wo immer Menschen sich ausdrücken.
Diese philosophische und politische Bedeutung steht nun oft in krassem Gegensatz zum Mangel an Wertschätzung für diejenigen, deren tägliches Handwerk das Übersetzen ist. Darum, meine Damen und Herren, sollen Sie heute im Mittelpunkt stehen, die literarischen Übersetzerinnen und Übersetzer, aber auch die Dolmetscher vom Sprachendienst, von denen einige unter uns sind, Sie alle, die dafür sorgen, dass wir uns nicht nur theoretisch verständigen könnten, sondern auch tatsächlich und praktisch verstehen.
Aber immer noch gilt für eine große Zahl von Übersetzern, was Bundespräsident Roman Herzog 1997 sagte: Das Verdienst und der ‚Verdienst’, den sie dafür erhalten, steht in keinem gerechten Verhältnis zueinander
. Ich denke, da können wir Roman Herzog in aller Ruhe zustimmen.
Wir werden das durch diesen heutigen Abend nun nicht fundamental ändern. Das könnten wir noch so sehr wollen, aber das wird uns nicht gelingen. Aber dieser Abend soll ein großer Dank sein, den die Gesellschaft Ihnen, den Übersetzerinnen und Übersetzern, schuldet, und ich möchte diesen Dank an diesem Abend wenigstens einmal symbolisch zum Ausdruck bringen – und vielleicht kann er ja ein Schritt weiter auf dem Weg sein, der zur besseren, auch ökonomischen Anerkennung des Dienstes und des Verdienstes der Übersetzer führen mag. Ich weiß, dass hier seit Jahren intensiv gerungen wird und ich wünsche allen Bemühungen Erfolg, die dazu beitragen, dass diejenigen, die uns die Lektüre fremdsprachiger Literatur ermöglichen, auch weiterhin gut in der Lage sind, diese wertvolle Aufgabe zu erfüllen.
Ich weiß nicht, liebe Daniela, ob dir dieser Aspekt am Herzen lag, als du so intensiv auf diesen Abend hingesteuert hast. Sie alle, meine Damen und Herren, haben hier eine große Fürsprecherin in diesem Hause. Das ist Daniela Schadt. Und die hat nicht geruht bis es in meinem Kopf soweit war: Ja, wir machen das. Wir denken nicht nur an die Autoren. Ich glaube also, dass ihr nicht vor allem der Verdienst am Herzen lag, sondern das unschätzbare Verdienst, das wir heute feiern, wenn wir Sie zu diesem festlichen Abend einladen, und wofür wir danken.
Dass wir die Möglichkeit erhalten, uns geistig in anderen Kulturen zu bewegen als wären diese Kulturen unsere eigene Welt. Es gibt keine wichtigere Voraussetzung für Toleranz und für Weltoffenheit als die elementare geistige Disposition, sich dem Anderen, sich dem Fremden öffnen zu können. Da jeder von uns, auch bei großer Begabung und bei noch so großer Anstrengung immer nur ein kleines Reservoir an fremden Sprachen selber beherrschen kann, sind wir auf gute Übersetzungen angewiesen.
Dazu kommt: Übersetzen hilft uns, nicht nur das Andere, sondern doch eigentlich auch uns selbst besser zu verstehen und differenzierter auszudrücken. Die Übersetzung öffnet uns den Blick in einen fernen Spiegel
. Die große Tradition des deutschen Übersetzens, ich erwähne die Übersetzung antiker Texte durch Johann Heinrich Voss oder Schleiermacher, die Bibelübersetzung Martin Luthers, die Shakespeare-Übersetzungen von Tieck und Schlegel, diese große Tradition hat in der deutschen Sprache und damit in unserem Denken und unserer Kultur immer wieder neue Begriffe erschaffen, neue Ausdrucksmöglichkeiten und dadurch neue Weisen des Selbst-und Weltverständnisses.
Übersetzung bedeutet oft Sprachgewinn
– und das ist eben nichts anderes als Wirklichkeitsgewinn
. Je höher die Übersetzungskultur war und ist, desto reicher und lebendiger wurde und wird das Deutsche selbst.
Übersetzung ist auch Handwerk, Knochenarbeit, wie viele Übersetzer sagen. Bevor Begriffe wie Kulturvermittlung
oder Brückenbauen
ins Spiel kommen können, da steht die handwerkliche Arbeit am einzelnen Wort, am Satz, am Abschnitt, am Buch. Bevor das Andere uns als verständlich vor Augen treten kann, muss der Übersetzer, die Übersetzerin Wörterbücher wälzen, Tageszeitungen lesen, Sprachgeschichten studieren, Autoren-Welten erlesen und verinnerlichen.
Übersetzer müssen Sprachspiele verschiedener Milieus, Schichten, Berufswelten erkennen. Wie spricht eine Salondame im Juli 1830 in Paris, wie spricht ein russischer General 1943 vor Stalingrad, wie spricht ein Wall-Street-Broker 1987 und wie 2007, wie klagt eine Palästinenserin in Bethlehem 2012? Und wie würden sie alle auf Deutsch geredet haben oder reden? Und in welchem Deutsch sollen sie reden, im heutigen oder in dem ihrer Zeit?
Die hellhörige Genauigkeit, die Leidenschaft für die Vielfarbigkeit der Ausdrucksweisen, die souveräne Kennerschaft des sprachlichen Atlas einer fremden Kultur: Das alles zusammen sorgt dafür, dass wir wirklich gute Übersetzungen bekommen. Nur so bewahren uns die guten Übersetzer vor der alles nivellierenden globalen Einsprachigkeit.
Wenn Esther Kinsky davon spricht, dass man sich auf die Andersnamigkeit
der Welt einlassen muss, dann finde ich das einen sehr, sehr schönen Begriff für diese Arbeit, die ich mir als schwierig und schön zugleich, als einerseits anstrengend und frustrierend und andererseits unendlich beglückend und immer wieder beschenkt von Einsicht und Gelingen vorstellen kann – auch im Aushalten von Fremdheit und scheinbar Unübersetzbarem.
Der Übersetzer arbeitet auf eigene Verantwortung. Wenn es auch viel kollegialen Austausch gibt, zum Beispiel in so einer verdienstvollen Einrichtung wie dem europäischen Übersetzerkolleg in Straelen, so bleibt der Übersetzer am Ende doch ein Hochseilartist, der allein balancieren muss, allein, auf eigene Gefahr.
Ich freue mich jetzt, dass wir heute Abend hier im Schloss Bellevue eine ganze Reihe dieser Artistinnen und Artisten haben, dazu natürlich auch Vertreter von Institutionen, die diesen Einzelnen ihr Geschäft erleichtern – ich hoffe, immer nur erleichtern und nicht erschweren. Einige kommen gleich – exemplarisch – zu Wort, die dann noch gesondert vorgestellt werden. Mir bleibt es jetzt, Denis Scheck ganz herzlich zu begrüßen und ihm zu danken, dass er uns durch diesen Abend führen wird. Seine Leidenschaft für gute Literatur schließt auch die Leidenschaft für gute Übersetzungen ein – und darum freue ich mich, dass er heute hier ist.
Ich muss jetzt noch einmal zurück zur Theologie kommen, der im Übrigen vielleicht anspruchsvollsten Übung im Übersetzen, denn hier soll ja göttliches Wort, das heißt Mysterium, letztlich Unsagbares in menschliche Sprache gebracht werden:
Als die Bibel beschrieb, wie es nach dem Turmbau zu Babel zur Verwirrung der Sprachen kam, da wurde diese Multiplikation der Sprachen eindeutig als Übel, als Strafe begriffen – und keineswegs als Startschuss für eine allseits bereichernde multikulturelle Vielfalt.
Die Aufspaltung in verschiedene Sprachen und Kulturen wird geradezu als Phänomen der Gottesferne, der menschlichen Hybris erzählt – und später, viel später, im Neuen Testament, wird dann das Einander-Verstehen der Fremden, jenes Pfingstwunder der Kommunikation, als Zeichen für das Wirken göttlicher Gegenwart begriffen. Da am vergangenen Wochenende Pfingsten war, hätte dieser Abend gar nicht sinnvoller terminiert werden können.
Wenn Sprache und Verstehen eine so herausragende, an die Präsenz des Göttlichen rührende Qualifikation zugeschrieben wird, dann, ja dann wissen wir, was Übersetzer auch sind: Boten einer Welt, in der man sich verstehen kann – oder, so Gott will – versteht.
Sie aber, die Übersetzerinnen und Übersetzer, warten nicht auf ein Wunder. Sie wissen, dass pfingstliche Feuerzungen selten sind. Deswegen machen sie sich an die Arbeit, Tag für Tag. Geduldig, unbeirrt bringen sie fremde Welten in unsere schöne deutsche Sprache – und machen sie dadurch noch schöner. Oder sie tragen Gedanken aus unserer Sprache hinaus in eine andere. Und uns allen schenken sie Tag für Tag ein Stück neuen Verstehens, neuer Perspektive, neuer Welt. Das brauchen wir!
Und deshalb mit Begeisterung und aus vollem Herzen: danke!