Willkommen in Schloss Bellevue! Auch wenn Ihr 75. Geburtstag, lieber Herr Teufel, schon einige Wochen zurückliegt, will ich meine Tischrede mit einem herzlichen Glückwunsch beginnen. Daniela Schadt und ich, wir freuen uns, dass Sie heute unser Gast sind, gemeinsam mit Ihrer lieben Frau, Ihrer Familie, mit Freunden und Weggefährten.
Im Deutschen gibt es die Redensart: Es ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden
. Wir sagen das vor allem dann, wenn ein Mensch sich anders entwickelt, als es die Umstände seiner Herkunft erwarten ließen. Was ist wohl Erwin Teufel an der Wiege gesungen worden, als er vor 75 Jahren, am vierten Tag des Zweiten Weltkrieges, das Licht der Welt erblickte? Wahrscheinlich nicht, dass er einmal eine ganz ungewöhnliche politische Karriere machen würde: Mit gerade mal 25 Jahren jüngster Bürgermeister Deutschlands, dann Landtagsabgeordneter, Staatssekretär, Fraktionsvorsitzender und schließlich 14 Jahre lang Ministerpräsident eines großen und wichtigen Bundeslandes.
Ungewöhnlich ist dieser Weg nicht allein, weil er in höchste Ämter geführt hat, sondern vor allem, weil er so bodenständig begann: Bauernfamilie, mittlere Reife, Verwaltungslehre – aber eben auch Fleiß und Belesenheit. Der Wille, etwas aus sich zu machen; Dinge in Bewegung zu setzen; sich nicht nur als Spielball der Anderen oder der Verhältnisse
zu begreifen, sondern selbst zu handeln.
Dass Sie, lieber Herr Teufel, diesen Weg eingeschlagen haben, hängt ganz gewiss auch mit der Zeit zusammen, in der Sie aufgewachsen sind. Die Erfahrung des Krieges und der Schreckensherrschaft der Nazis hat Sie tief geprägt. In gewisser Weise waren auch Sie ein 68er
. Freilich einer, der sich keiner revolutionären Bewegung anschließen musste, um die Sünden der Vätergeneration zu entlarven, einer, der an die eigenen Kinder und Enkel dachte und deshalb früh Verantwortung für das Gemeinwesen übernahm.
So ehren wir heute einen überzeugten Europäer und einen glühenden Föderalisten, der sich für verlässliche demokratische Strukturen und Institutionen stark gemacht hat. Wir ehren einen Freund Israels. Wir ehren einen Christenmenschen, für den die viel zitierte Verantwortung vor Gott und den Menschen
keine Präambelrhetorik ist, sondern Richtschnur seines Handels. Und wir ehren einen Menschen, der sich schon für bürgerschaftliches Engagement eingesetzt hat, als dieses Wort noch nicht erfunden war.
Zu einer Zeit, als viele mit Baden-Württemberg nur seine Wirtschaftskraft und das Image vom Musterländle
verbanden, haben Sie als Ministerpräsident die Frage gestellt, was eine moderne Gesellschaft jenseits von Wachstum und Konsum eigentlich zusammenhält. Die Expertenkommission, die Sie damals einsetzten, kam zu Ergebnissen, die auch heute noch aktuell sind: Stärkung des Ehrenamts, Ausgleich zwischen den Generationen, Bildung als Schlüssel zu Integration und sozialem Aufstieg.
Gewiss wäre noch viel mehr zu berichten über den Politiker und den Menschen Erwin Teufel – etwa über sein Streben, politische Entscheidungen möglichst im Konsens herbeizuführen, oder über seinen Einsatz beim demokratischen Wiederaufbau in Sachsen nach der friedlichen Revolution.
Und natürlich wäre auch zu fragen, worin eigentlich sein politisches Erfolgsrezept
bestand. Eine Antwort darauf gab die Schwäbische Zeitung, im Herbst 1964, anlässlich seiner Wahl zum Bürgermeister von Spaichingen. Da schrieb also das Blatt: Eine Erklärung für das Phänomen, dass sich (…) bei einer Wahlbeteiligung von rund 84 Prozent nicht weniger als 51,25 Prozent der Wähler für den 25-Jährigen entschieden haben, ist allein in der Persönlichkeit des neuen Bürgermeisters zu finden. Er sieht älter aus, als er jung ist.
Der zweite Halbsatz stimmt auch heute noch. Was Erwin Teufel auszeichnet, ist seine geistige Frische und seine jugendlich anmutende Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen, wenn die Betrachtung der Wirklichkeit
ihm eine neue Richtung weist. Und die Betrachtung der Wirklichkeit
ist für Erwin Teufel neben dem lieben Gott die wohl wichtigste Quelle der Wahrheitsfindung.
Erwin Teufel hat ein faszinierendes Talent, scheinbare Gegensätze aufzulösen, ja sogar fruchtbar zu machen – und damit manche Klischeevorstellung zu erschüttern: Er ist ein überzeugter Katholik, aber einer mit einem ausgeprägten protestantischem Arbeitsethos. Als Konservativer trat er für die Einführung eines allgemeinen Friedensdienstes neben der Wehrpflicht ein. Als Ministerpräsident setzte er sich für ökonomische Effizienz ein – und warb zugleich für einen gerechten Ausgleich zwischen den armen und den reichen Ländern unserer Einen Welt. Und dieses Werben beschränkte sich bei ihm nicht auf wohlfeile Sonntagsreden: Im Jahr 2000, noch als aktiver Ministerpräsident, reiste er nach Bangladesch und lebte dort in der Familie eines armen Kleinbauern, um am eigenen Leib zu erleben, jedenfalls eine Woche lang, was Armut bedeutet, was es heißt, auf der Schattenseite der globalisierten Welt zu leben – und er wollte auch wissen, was wir gemeinsam gegen Ungerechtigkeit und Armut tun können.
Lieber Herr Teufel,
im Laufe Ihres langen Berufslebens haben Sie Ihre vielen Talente in den Dienst des Gemeinwesens gestellt – und im Ehrenamt tun Sie das bis heute. Dafür danke ich Ihnen von Herzen! Und ich freue mich ganz besonders, dass heute so viele Ihrer Familienangehörigen mit uns am Tisch sitzen, denn ich bin sicher: Sie, liebe Frau Teufel, die Kinder und die ganze Familie haben viel dazu beigetragen, dass Erwin Teufel der werden konnte, als den wir ihn kennen und schätzen.
Der Schriftsteller Martin Walser hat Ihnen zu Ihrem 60. Geburtstag ein Gedicht gewidmet. Darin heißt es:
Macht übt er aus nur
nach Uhrmacherart: er richtet das Werk,
damit die Zeit nicht ins Toben gerate.
Und weiter:
Er lässt die Illusion zu,
das Gute sei möglich.
Ich finde, nicht nur für einen Politiker ist das ein ziemlich starkes Kompliment.
Lassen Sie uns also das Glas erheben auf Sie, lieber Herr Teufel, und auf Sie, sehr verehrte Frau Teufel. Ad multos annos!