Vielen Dank für diesen herzlichen Empfang, den Sie der deutschen Delegation, Daniela Schadt und mir in Portugal bereitet haben! Fast 2.500 Kilometer liegen zwischen Lissabon und Berlin – und doch ist das Gefühl nach diesem erlebnisreichen Tag ganz eindeutig: Wir sind Nachbarn in Europa. Unsere Wege in die Gemeinschaft der Europäer, sie waren verschieden, aber das, was uns dabei angetrieben hat und bis heute antreibt, das war und ist sehr ähnlich. Allen voran die Sehnsucht nach Freiheit und Frieden, nach Demokratie und Teilhabe: politisch, kulturell und ökonomisch. Ich habe festgestellt: Es gibt viele gedankliche Parallelen zwischen portugiesischen Zeitzeugen, die von der Nelkenrevolution 1974, von der Überwindung der Diktatur und der Hinwendung zur Europäischen Union erzählen, und jenen, die – wie ich –, 1989 den Umbruch in Mittel- und Osteuropa erlebt und gestaltet haben. Ich fühle mich deshalb als Deutscher wie als Europäer in Ihrem Land sehr willkommen.
Mein Reiseprogramm hätte einladender kaum beginnen können: schon morgens das prächtige Hieronymuskloster mit seinen Mauern, die Geschichte atmen. Beides hat dort im Kloster seinen Platz gefunden: das Gedenken an Nationalikonen wie Vasco da Gama und Luís de Camões, zugleich das Versprechen auf europäische Erneuerung. Die Bodenplatte zu Ehren des Vertrags von Lissabon samt der eingravierten Unterschriften der Staats- und Regierungschefs wird bei künftigen Generationen vielleicht ähnliche Gefühle wecken wie die Bilder der kühnen Seefahrer des 15. Jahrhunderts es heute bei uns tun.
Viele Anklänge an das Zusammenwachsen Europas waren auch am Nachmittag zu hören, als wir das 60. Gründungsjubiläum der Deutsch-Portugiesischen Handelskammer gewürdigt haben. Die Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen ist inzwischen untrennbar mit der Europäischen Union verbunden. Ich bin also zugleich Gast, Freund und Partner, wenn ich sage: Wie Portugal dabei ist, die Finanzkrise durch einen entschlossenen Reformkurs einzuhegen, das verdient unseren großen Respekt. Ich wünsche Ihrem Land, dass diese erfreuliche Entwicklung konsequent vorangetrieben werden kann und schon bald – ablesbar an den Wirtschaftsdaten, aber vor allem auch spürbar für die Bevölkerung – zu weiterem Aufschwung und neuen Arbeitsplätzen führen wird. Vor allem das Problem der Jugendarbeitslosigkeit muss dringend gelöst werden. Da weiß ich mich mit allen meinen portugiesischen Gesprächspartnern einig.
Deutschland will Portugal auf seinem europäischen Weg der Reformen weiterhin unterstützen. Dass ich von Unternehmern aus Deutschland begleitet werde, die hier in Portugal Erfahrung haben, das soll mehr sein als ein symbolischer Akt. Zum einen bringen diese Unternehmer die Bereitschaft für Investitionen und zur Zusammenarbeit bei der dualen Ausbildung mit. Zum anderen will ich zeigen: Der Strukturwandel hat begonnen, er wird greifbar. Und er lohnt sich!
Strukturwandel bleibt ein abstraktes Wort. Wer Portugal erlebt, wer hier in Lissabon das faszinierende Nebeneinander von Tradition und Moderne sieht, der wird mir vielleicht zustimmen: Strukturwandel beginnt mit einer neuen Sicht auf sich selbst und auf die Welt – besser noch: in die Welt. Portugal ist gerade dabei, so scheint mir, nicht nur seine Rolle in Europa, sondern auch seine Rolle im internationalen Gefüge neu zu bestimmen. Die Intensivierung des Außenhandels mit Ländern in Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten ist dafür ein Beleg. Ebenso das portugiesische Bekenntnis zum Multilateralismus. Wenn von großen portugiesischen Persönlichkeiten die Rede ist, fallen einem internationalen Publikum sogleich der Präsident der Europäischen Kommission ein und der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen.
Die Leistungsfähigkeit der portugiesischen Diplomatie wird weltweit sehr geschätzt, in vielen Staaten schon aus kultureller Verbundenheit – 250 Millionen Menschen sprechen Ihre Sprache. Und geschätzt wird Ihr Land für die besonderen Brückenschläge, die sich aus seiner Geschichte in die Gegenwart ergeben. Wer in Deutschland nach dem Lebensgefühl in Angola oder Mosambik fragt, wird nur vergleichsweise wenige Erfahrene und Experten finden. Hier in Portugal scheinen Europa und Afrika geografisch wie auch mental näher beieinander zu liegen. Davon kann auch Deutschland lernen.
Ähnliches gilt für Brasilien. Viele meiner Landsleute waren über die sozialen Konflikte im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft dort überrascht bis erschrocken. Die meisten Portugiesen verstehen die manchmal schwierigen Bedingungen, aber auch die Hoffnungen jenseits des Atlantiks sehr viel besser. Dieses Verständnis ist kostbar in einer Zeit, in der wir globale Aufgaben wie in der Sicherheitspolitik oder beim Klimawandel nur bewältigen können, wenn wir gemeinsame Interessen und im Fall von Konflikten Kompromisslinien finden.
Ich begrüße es deshalb sehr, wenn Sie die portugiesische Perspektive einbringen – sei es in Europa, sei es im Rahmen der NATO, der Vereinten Nationen oder in der Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder.
Jetzt meine Bitte zum Schluss, die wird Sie nicht überraschen: Erheben wir das Glas auf eine Welt, in der gute Nachbarschaft keine Frage des Abstands in Kilometern ist, sondern eine Frage gemeinsamer Werte. Und natürlich auf das Wohl unserer Gastgeber, die uns heute zusammengeführt haben!