Bundespräsident Joachim Gauck hat der japanischen Tageszeitung Yomiuri Shimbun
anlässlich des offiziellen Besuchs in Japan ein schriftliches Interview gegeben, das am 14. November erschienen ist.
Mit welchen Fragen und Themen kommen Sie nach Japan, worüber werden Sie mit Premierminister Abe sprechen?
Zunächst einmal komme ich mit großer Neugier und Vorfreude nach Japan. Mein erster Besuch in Ihrem Land führt mich nach Tokyo, Kyoto und Nagasaki – drei Orte, die Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und eine reiche Geschichte widerspiegeln.
Ich möchte die wichtigen und besonders vielseitigen Beziehungen zwischen Japan und Deutschland würdigen. Unsere Länder sind heute durch Freundschaft und enge politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen verbunden. Als liberale Demokratien
teilen wir fundamentale Werte, die unsere Sicht auf die Welt prägen und uns eng verbinden. Die Freundschaft zwischen Deutschland und Japan bildet dabei auch eine Brücke zwischen unseren Kontinenten.
In der Außen- und Innenpolitik stehen unsere Länder vor ähnlichen Herausforderungen. Das und die innere Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaften wird in meinen Gesprächen eine besondere Rolle spielen. Bei einer ganzen Reihe von Themen, beim Umgang mit einer alternden Gesellschaft, mit den sozialen Folgen der Digitalisierung, mit Ressourcenmangel oder bei globalen Fragen wie dem Klimaschutz können wir voneinander lernen. Wir teilen das Bekenntnis zum Völkerrecht als entscheidendes Merkmal unserer Außenpolitik und als Quelle der Glaubwürdigkeit, auch in mitunter schwierigen regionalen Fragen. Als global vernetzte Wirtschaftsnationen haben Deutschland und Japan ein besonderes Interesse, das mitunter gefährdete völkerrechtliche Ordnungsgefüge zu erhalten und zukunftsfähig zu machen – vor allem Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte.
Shinzô Abe hat für einige Veränderungen in der japanischen Politik gesorgt –heiß diskutiert wird die Neuauslegung der japanischen Verfassung, um Einsätze des japanischen Militärs im Ausland zu ermöglichen. Auch Sie haben mehr Mut zu einer aktiveren deutschen Außenpolitik gefordert – notfalls auch mit militärischen Mitteln. Was halten Sie von Premierminister Abes Vorstoß?
Japan und Deutschland sind heute – ganz anders als noch vor 80 Jahren –Friedensmächte, die weltweit besonderes Vertrauen genießen. Ich nehme sehr wohl wahr, wie sehr sich die sicherheitspolitische Situation in Ostasien verändert. Über diese Dynamik und Japans Sicht auf die neuen Herausforderungen möchte ich mich gern mit Premierminister Abe austauschen. Wir werden auch über die aktuellen Entwicklungen in Europa und über internationale Krisenszenarien sprechen.
Deutschland und Japan durchlaufen angesichts einer veränderten Weltlage derzeit eine Phase der politischen und gesellschaftlichen Selbstvergewisserung über unsere außen- und sicherheitspolitische Rollen. Mir scheint es, dass sich in unseren beiden Ländern die Einsicht durchsetzt, dass ein noch aktiveres internationales Engagement eingebettet in internationale Institutionen in unserem jeweiligen Interesse ist. Wie genau das aussehen kann und soll, steht am Ende der politischen und gesellschaftlichen Debatten.
Sie werden auch den japanischen Kaiser treffen. Vor wenigen Monaten hat der Tennô angekündigt, abdanken zu wollen. Was halten Sie von seiner Absicht? Worüber möchten Sie mit ihm sprechen?
Ich freue mich sehr auf die Begegnung mit dem japanischen Kaiser, mit der Kaiserin und mit dem Kronprinzen und der Kronprinzessin. Verstehen Sie bitte, dass ich die Überlegungen des Tennô nicht kommentieren möchte.
Die deutsche Außenpolitik ist mittlerweile an vielen Fronten aktiv, und nicht nur in zweiter Reihe. Ist es das, was Sie 2014 in München im Blick hatten?
In der Debatte um Deutschlands außenpolitische Rolle ist es mir als Bundespräsident besonders wichtig, Impulse zu setzen, um die Akzeptanz eines früheren, substantielleren und entschiedeneren Engagements Deutschlands zu erhöhen und die aktive, deeskalierende und vermittelnde Außenpolitik der Bundesregierung zu unterstützen.
Seit der Wiedervereinigung entwickelt sich Deutschland immer stärker von einem Nutznießer hin zu einem Garanten internationaler Sicherheit und Ordnung. In der Ukraine zeigt sich das besonders. Nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Beginn des Krieges in der Ost-Ukraine bemüht sich Deutschland mit Frankreich aktiv und unermüdlich um eine Lösung dieses Konflikts.
Muss Deutschland eine internationale Führungsrolle einnehmen und wie kann es diese ausfüllen, ohne seine eigene Vergangenheit aus dem Auge zu verlieren und mit den Partnern in Konflikt zu geraten?
Deutschland ist – nach dem Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus und des Holocausts – in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vom geächteten Außenseiter wieder zu einem respektierten Mitglied der internationalen Gemeinschaft geworden. Wir sind wirtschaftlich erfolgreich und eine stabile Demokratie mit fest verankerter Rechtsstaatlichkeit. Daraus erwächst uns die Verantwortung, mehr Engagement für die Erhaltung von Frieden und Freiheit in der Welt zu zeigen.
Sehr viele unserer internationalen Partner ermutigen uns, ja fordern von uns, leadership
zu übernehmen. Das ist keine Rolle, nach der sich die deutsche Politik gesehnt hat. Da aber Deutschland aus den genannten Gründen zu einem sehr stabilen Staat geworden ist und gleichzeitig in vielen Regionen dieser Welt Instabilität herrscht, haben viele Länder Erwartungen an uns: uns stärker einzubringen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich sehe das auch so. Aber auch hier gilt: Das, was wir erreicht haben, konnten wir nur in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern innerhalb der EU und des transatlantischen Bündnisses erreichen. Unser Streben wird immer sein, diesen Zusammenhalt zu stärken und uns gemeinsam für mehr Frieden und Sicherheit in der Welt einzusetzen. Meinungsverschiedenheiten, auch Konflikte kann es dabei natürlich geben. Wichtig ist aber, diese partnerschaftlich zu überwinden.
Eurokrise, Flüchtlingskrise, Brexit – die innereuropäischen Herausforderungen sind in den letzten Jahren gewachsen und könnten Europa vor eine Zerreißprobe stellen. Welche Gefahren sehen Sie für Europa, und welche Aufgaben folgen daraus?
Europa stand in seiner Geschichte immer wieder vor besonderen Schwierigkeiten und hat es geschafft, diese zu meistern. Problematisch sind daher nicht so sehr die einzelnen aktuellen Herausforderungen, auch wenn die derzeitige Situation eine besondere ist. Die größte Gefahr ist vielmehr das Erstarken europakritischer, zumeist populistischer politischer Bewegungen, die die Europäische Union und ihre grundlegenden Werte diskreditieren und bekämpfen. Diese Bewegungen schüren Ressentiments, bedienen nationalistisches Gedankengut und geben vor, die Probleme unserer Zeit ließen sich auf einfache Weise lösen.
Gleichzeitig gibt es ein reales Unbehagen vieler Menschen und auch legitime Kritik an der EU und eine damit verbundene Vertrauenskrise gegenüber den europäischen Institutionen. Mit beidem müssen sich die politisch Verantwortlichen und die gesamten Gesellschaften ernsthaft auseinander setzen. Dabei sollten wir uns immer daran erinnern, dass uns die Europäische Union über Jahrzehnte Frieden, Stabilität und Wohlstand gebracht hat. Ich bin übrigens überzeugt, dass der bevorstehende Austritt der Briten aus der Europäischen Union – so sehr ich ihn, zusammen mit der Mehrheit meiner Landsleute, auch bedauere – nicht der Anfang vom Ende der Union ist, sondern der Anfang von neuen Bemühungen um die Verteidigung der Europäischen Union und ihrer Werte.
Überall in Europa zeigen sich neue rechtspopulistische Tendenzen – und auch in Deutschland haben diese sich in Form von PEGIDA und AfD bereits etabliert und in den Landesparlamenten verankert. Gleichzeitig ist die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten signifikant angestiegen. Welche Gefahren sehen Sie und welche Notwendigkeiten muss man daraus ableiten?
Weltweit sind Re-Nationalisierungstendenzen zu beobachten. Unter anderem verängstigen wohl das Tempo und die Vehemenz der Globalisierung viele Menschen und sie versprechen sich – bewusst oder unbewusst – von einem Zurück zur Nation Beherrschbarkeit und Berechenbarkeit. Populistische nationalistische Bewegungen benutzen diese Ängste und haben dann mitunter leichtes Spiel.
Ganz grundsätzlich können Veränderungen bei Menschen Sorgen und Ängste hervorrufen. In Deutschland wurde dies durch die hohe Flüchtlingszahl im vergangenen Jahr und alle damit verbundenen Herausforderungen verstärkt. Die Sorgen und Ängste müssen die politisch Verantwortlichen ernst nehmen. Dort wo allerdings Protest in blinden Hass oder gar Gewalt umschlägt gilt es klare Grenzen zu ziehen.
Sie haben beschlossen, nicht wieder für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Sie haben das Amt mit viel Engagement und persönlicher Intensität ausgefüllt – welches war Ihr einschneidendes Erlebnis in dieser Zeit, was das wichtigste Thema?
Was die Außenpolitik betrifft, war es für mich ein besonders bewegendes Erlebnis, dass mich Königin Beatrix der Niederlande eingeladen hatte, in ihrem Land zum Tag der Befreiung zu sprechen. Zum ersten Mal konnte so ein deutscher Präsident an einem wichtigen nationalen Feiertag erleben, wie aus bitterer Feindschaft ein freundschaftliches Miteinander geworden ist. Innenpolitisch war das wichtigste, dass ich sehr intensiv die Vielfalt und Kraft der Zivilgesellschaft erleben konnte. Es gibt ein stabiles Netzwerk ehrenamtlich engagierter Bürger in Deutschland, die dem Gemeinwesen ein freundliches Gesicht geben. Wie stark und stabilisierend dieses Netzwerk der Engagierten wirklich ist, wird von den Medien leider allzu selten abgebildet.
Sind Sie zufrieden mit dem Ausgang der Präsidentenwahl in den USA? Was würden Sie dem oder der neuen Präsidenten/in mit auf den Weg geben wollen?
In einer Demokratie entscheiden die Wähler über den Ausgang einer Wahl, und diese Entscheidung müssen wir respektieren. Ich denke, dieser Präsidentschaftswahlkampf in den USA war äußerst irritierend: Fakten und Wahrheiten spielten oft keine Rolle mehr, persönliche Angriffe waren unerbittlich und hatten eine bisher nicht gekannte Härte. Ich bin aber überzeugt, dass die Demokratie in den USA, das System der checks and balances und der eingehegten Macht, so tief verankert ist, dass sie auch dieses Wahlergebnis verkraften wird. Der neue Präsident wird wie die Vorgänger eine ungeheure Verantwortung übernehmen, denn die USA bleiben aufgrund ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Stärke die Führungsnation in der Welt. Sich dieser Verantwortung mit Umsicht zu stellen, das wünsche ich Herrn Trump.
Die Fragen stellten: Kei Iguchi, Gesine Denker.