Bundespräsident Joachim Gauck hat der nigerianischen Tageszeitung The Guardian anlässlich des offiziellen Besuchs in der Bundesrepublik Nigeria ein Interview gegeben, das am 8. Februar erschienen ist.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, willkommen in Nigeria. Verraten Sie uns doch ein wenig über sich selbst und Ihr Leben und über den Hintergrund Ihres Besuchs in Nigeria.
Mit meinem Besuch möchte ich vor allem die guten Beziehungen zwischen unseren Ländern würdigen. Und: Es ist mir wichtig, für eine noch intensivere Freundschaft zwischen Nigeria und Deutschland zu werben. Als bevölkerungsreichstes Land des afrikanischen Kontinents und volkswirtschaftliches Schwergewicht ist Nigeria ein zunehmend wichtiger politischer und wirtschaftlicher Partner für Deutschland.
Natürlich ist mir bewusst, dass Ihr Land auch mit großen Herausforderungen konfrontiert ist: der internationale Terrorismus, der Umgang mit Flucht und Vertreibung, die Armutsbekämpfung. Das alles wird bei meinen Gesprächen mit Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft in Abuja eine Rolle spielen. Außerdem ist es mir ein Anliegen, die Leistungen der Vereinten Nationen und von Hilfsorganisationen zu würdigen, die sich in Nigeria für hunderttausende Binnenflüchtlinge engagieren. Gespannt bin ich auch auf mein Treffen mit Vertretern der verschiedenen Religionsgemeinschaften, von denen ich gerne etwas über den interreligiösen Dialog in ihrem Land erfahren würde. Und ich freue mich darauf, am Sitz der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) eine Rede zu halten und in Lagos nigerianische Unternehmer und Kulturschaffende zu treffen. Übrigens: Bei meinem Besuch begleitet mich eine hochrangige deutsche Wirtschaftsdelegation.
Ganz ausdrücklich möchte ich mit meinem Besuch den noch jungen demokratischen Machtwechsel in Ihrem Land würdigen. Ich selbst stamme aus Ostdeutschland, aus der DDR; dem Teil unseres Landes, der bis 1989 kommunistisch beherrscht, also nicht frei und nicht demokratisch war. Als evangelischer Pastor unterstützte ich aktiv die DDR-Bürgerrechtsbewegung, die insbesondere in kirchlichen Kreisen beheimatet war. Wir haben 1989 für Demokratie, Freiheit, für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte gekämpft und sie nach fast 40 Jahren Repression und Unfreiheit erstritten. Insofern ist der Besuch in Ihrer noch jungen Demokratie auch für mich persönlich etwas Besonderes.
Als die jetzige Bundesregierung ins Amt kam, bestand vonseiten Deutschlands und zahlreicher anderer Industrienationen großer Enthusiasmus zur Bekämpfung von Terrorismus, Aufständen und vergleichbaren Übeln in Nigeria. Wie sah Deutschlands Beitrag konkret aus?
Die Gewalt islamistischer Fundamentalisten ist zu einer weltweiten Bedrohung geworden. In Nigeria trägt der Terror das Gesicht von Boko Haram, die Sicherheit und Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Ihrem Land bedroht. Im Kampf dagegen steht Deutschland Ihnen politisch zur Seite.
Für eine globale Herausforderung wie der des Terrorismus bedarf es einer weltweit koordinierten Antwort. Als Mitglied der Anti-IS-Allianz beteiligt sich Deutschland daher auch mit militärischen Mitteln am Kampf gegen die Terrororganisation IS. Die deutsche Bundesregierung unterstützt die Entwicklung wirksamer operativer Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung auf internationaler Ebene und engagiert sich in internationalen Initiativen zur Terrorismusbekämpfung, darunter bei den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, NATO und OSZE. Dabei verfolgen wir einen umfassenden Ansatz: Wenn wir den Terrorismus und gewalttätigen Extremismus wirksam und nachhaltig bekämpfen wollen, müssen wir auch gegen die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen vorgehen, müssen wir Menschenrechte und rechtstaatliche Strukturen stärken.
Die deutsche Regierung wird für ihre Politik, Flüchtlinge aus anderen Ländern und insbesondere aus dem Nahen Osten aufzunehmen, vor allem von den Deutschen selbst kritisiert. Was wird unternommen, um den Bürgern zu vermitteln, dass der Zuzug von Flüchtlingen nicht die von ihnen befürchteten negativen Auswirkungen haben wird?
Glücklicherweise blicken die meisten Deutschen weiterhin differenziert auf die Flüchtlingsfrage. Sehr viele deutsche Bürger sind noch immer bereit, Schutzbedürftigen, wie etwa Kriegsflüchtlingen aus Syrien, zu helfen. Aber wir diskutieren in Deutschland natürlich auch darüber, dass wir nicht alle Menschen aufnehmen können, die gerne kommen und bleiben würden. Die hohen Flüchtlingszahlen bereiten einem Teil der Bevölkerung Sorgen. Und dieser Sorgen nehmen sich die Politiker zunehmend an. Übrigens: Die intensive öffentliche Debatte, die wir derzeit führen, zeigt: Sehr viele Deutsche sagen nicht einfach Nein zur Aufnahme von Flüchtlingen. Aber etliche fürchten, dass unsere Möglichkeiten zu helfen, an faktische Grenzen stoßen. Die deutsche Politik arbeitet daher sehr intensiv und auf vielen Ebenen daran, diejenigen, die bei uns sind, in die deutsche Gesellschaft zu integrieren und gleichzeitig die Flüchtlingszahlen zu senken. Letzteres kann allerdings nur gelingen, wenn die Europäer zusammenarbeiten. Der Umgang mit Flucht, der Kampf gegen ihre Ursachen wie Armut, Krieg und Klimawandel ist darüber hinaus eine Aufgabe für die internationale Gemeinschaft.
Viele deutsche Unternehmen und andere Akteure mit Verbindungen zu Deutschland, die in Nigeria tätig sind, florieren, was manchen Analysten zufolge zu einem Handelsungleichgewicht beziehungsweise einer Schieflage zugunsten von Deutschland geführt hat. Wie möchte die deutsche Regierung dem entgegenwirken?
Ein Ungleichgewicht in unseren Wirtschaftsbeziehungen zu Ihren Lasten? Das kann ich nicht erkennen. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Nigeria ist der zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands in Subsahara-Afrika, und die deutsche Wirtschaft importiert weit mehr aus Nigeria, als sie dorthin exportiert.
Wenn ich es richtig sehe, so bleibt es allerdings für Nigeria weiterhin sehr wichtig, seine Wirtschaft zu diversifizieren. Dazu können deutsche Unternehmen einen Beitrag leisten – zumal sie ein wachsendes Interesse am nigerianischen Markt zeigen. Das können Sie allein an den Vertretern der deutschen Wirtschaft sehen, die mich auf meiner Reise in Ihr Land begleiten. Einige deutsche Unternehmen haben bereits ihre Produktion in Nigeria aufgenommen, und sie investieren in die Ausbildung von Mitarbeitern. Wir können also von einer neuen Dynamik in unseren Wirtschaftsbeziehungen sprechen. Allerdings gilt: Wenn wir diese Beziehungen ausbauen wollen, müssen sich die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen weiter verbessern. Dazu gehört es, Verträge einzuhalten, die Infrastruktur auszubauen, an einer verlässlichen Verwaltung zu arbeiten.
Was unternimmt die deutsche Regierung, um Nigeria bei der Bekämpfung der Armut zu unterstützen?
Nigeria ist für Deutschland auch bei der Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiges Partnerland. Unsere Regierungen haben erst vor kurzem ihre Zusammenarbeit weiter intensiviert. Es geht in den Projekten vor allem darum, die bedrückende Armut sehr vieler Menschen in Nigeria zu bekämpfen und den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen neue Perspektiven zu geben. Ich gehöre als Präsident nicht der Regierung an und will daher nur einige Beispiele unserer Entwicklungszusammenarbeit aufzählen: die Unterstützung beim Aufbau der nigerianischen Entwicklungsbank, Projekte im Umwelt- und Landwirtschaftsbereich, mit denen die Produktivität der Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit gesteigert werden sollen. Es gibt gemeinsame und von Deutschland geförderte Projekte im Bildungs- und Berufsbildungsbereich, zum Beispiel den Safe Schools-Fund
, der jungen Menschen in sehr unsicheren Gebieten den Schulbesuch gewährleisten soll. Unsere Regierungen arbeiten auch für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und im Energiesektor eng zusammen. Neu ist die sogenannte Sonderinitiative für Flüchtlinge zur Unterstützung von Binnenflüchtlingen und den aufnehmenden Gemeinden, die Deutschland ab diesem Jahr für fünf Jahre mit 13 Millionen Euro unterstützt. Besonders freut mich aber auch das Engagement vieler deutscher Bürger, die hier in Nigeria leben und immer wieder Wege finden zu helfen.
Die Fragen stellte: Bridget Chiedu Onochie.