Bundespräsident Joachim Gauck hat am 14. Juni dem "Deutschlandfunk" anlässlich seines Staatsbesuches in Norwegen ein Interview gegeben.
Im Leben eines Bundespräsidenten gibt es angenehme und weniger angenehme, leichtere und schwierigere Staatsbesuche. Wie ordnen Sie Ihre drei Tage in Norwegen ein, Herr Bundespräsident?
Angenehm wäre untertrieben. Es war ein großartiger Besuch, enge Freundschaft, keine Konflikte, vielfältige Interessenübereinstimmung, und das aufgrund von gemeinsamen Werten. Norwegen, das ist ja nicht Mitglied der Europäischen Union, aber die Werte, die uns verbinden, die sind identisch.
Dennoch ist das deutsch-norwegische Verhältnis durch die Nazi-Besatzung belastet. Andererseits beantwortete die norwegische Ministerpräsidentin Solberg auf einer Pressekonferenz die Frage nach einem größeren internationalen Engagement Deutschlands mit dem bemerkenswerten Satz: Deutschland muss sein Verhältnis zur Welt normalisieren.
Wie haben Sie diesen Satz verstanden?
Ja, ich habe die Bemerkung der Ministerpräsidentin gut verstanden, denn ich habe das Gefühl, dass unser Land eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung, und da können wir von Norwegen zum Beispiel auch lernen. Die haben sich eingebracht in Friedensprozesse etwa in Guatemala, weit weg von Norwegen, und sind bei Menschenrechts- und Friedensfragen weit ab vom eigenen Land aktiv. Das wünsche ich mir von Deutschland auch und ich habe hier nicht nur von der Ministerpräsidentin, sondern auf allen Ebenen ein Ja zu einem aktiven Deutschland gehört, und das ist ja auch, was wir von anderen Debattenteilnehmern aus dem Kreis unserer europäischen Verbündeten öfter hören. Insofern hat mich das nicht überrascht. Ich finde es aber gut, dass wir nicht nur innerhalb Deutschlands darüber reden, wie und wo sollen wir uns engagieren, sondern dass uns von außen auch Fragen gestellt werden und: Handelt ihr entsprechend eurer Bedeutung?
Und diese Frage müssen wir einfach ernsthaft beantworten.
Sie haben ja schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz sich für mehr deutsches internationales Engagement ausgesprochen. Bedeutet dieses internationale Engagement in Ihrem Sinne auch militärisches Engagement?
Erst einmal meine ich nicht das, was Deutschland in vergangenen Jahrhunderten oder in dem Jahrzehnt des Krieges an den Tag gelegt hat: deutsches Dominanzgebaren. Das Gegenteil ist gemeint. Es ist im Verbund mit denen, die in der Europäischen Union oder in der NATO mit uns zusammengehen, ein Ja zu einer aktiven Teilnahme an Konfliktlösungen im größeren Rahmen. Wenn die Bundesregierung jetzt sehr aktiv ist im Ukraine-Konflikt, dann ist das in dem Sinne, wie ich es gemeint habe. Es gab früher eine gut begründete Zurückhaltung der Deutschen, international sich entsprechend der Größe oder der wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands einzulassen. Das kann ich verstehen! Aber heute ist Deutschland eine solide und verlässliche Demokratie und ein Rechtsstaat. Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen. So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen.
Während Ihrer drei Tage in Norwegen, Herr Bundespräsident, sind Sie auch mit Wirtschaftsvertretern zusammengekommen. Deutschland ist der größte europäische Handelspartner Norwegens und kauft dem Land allein rund 30 Prozent seines Erdöls ab. Wo sehen Sie besonderes Potenzial einer noch engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit?
Nun, wir sind hier darauf angesprochen worden, dass man Planungssicherheit benötigt, etwa wenn man ein bedeutendes, leistungsstarkes Unterwasserkabel errichtet. Hier sind Planungen im Gange. Wir Deutschen brauchen Versorgungssicherheit und die Norweger brauchen für größere Investitionen Planungssicherheit und Investitionssicherheit. Sie wollen nicht Mittel aufwenden und haben dann eventuell Verluste zu erwarten. Und ich bin ganz zuversichtlich, denn es ist ein gut nachvollziehbares gegenseitiges Interesse, dass wir hier zu guten Lösungen kommen werden.
Am Donnerstag haben Sie in Oslo ein großes Jugend-Musikfestival eröffnet. Dabei sind Sie mit vielen jungen Menschen ins Gespräch gekommen und haben sich sichtlich wohlgefühlt. Das war wirklich deutlich. Welche Botschaft hatten Sie für die Jugendlichen in Ihrem Gepäck?
Ja, das ist eigentlich hauptsächlich immer die eigene Haltung, die ich mitbringe. Wissen Sie, ich mag diese Generation. Ich mag diese Lebensphase, in der Menschen für sich selber Weichen stellen, in der sie nach dem Sinn des Lebens fragen, in der sie Dinge ausprobieren. Und in dieser Phase muss man Menschen ermutigen, an die eigenen Kräfte, an die eigenen Möglichkeiten zu glauben.
Und die norwegischen Jugendlichen haben Sie aber auch ermuntert, Deutsch zu lernen und nach Deutschland zu kommen.
Klar, das habe ich auch getan. Wir haben früher in Norwegen viel mehr Menschen gehabt, die Deutsch in der Schule gelernt haben, oder auch als Erwachsener das Deutsche angenommen haben. Jetzt hat sich das verringert in den letzten Jahren, Deutsch ist kein Pflichtfach mehr, und dann sind viele auf Spanisch ausgewichen. Und dann ist Berlin cool! Das muss man den Jugendlichen dann auch mal sagen. Alle möglichen jungen Leute kommen aus allen Teilen der Welt, auch von Gegenden, wo sie früher gar nicht herkamen, etwa aus London, überhaupt aus Großbritannien, und leben in Berlin auf, ach so ist Deutschland auch
, und das sind Dinge, die sind nicht groß mit großen wissenschaftlichen oder politischen Headlines verbunden, aber so ein gutes, positives Lebensgefühl mal mitzunehmen aus Deutschland, das kann dann auch der Einstieg sein für eine längere und tiefere Beziehung zu unserem Land.
Die Fragen stellte Hans-Joachim Wiese.