Zu Beginn einen dreifachen Glückwunsch: der Jury des Deutschen Umweltpreises für ihre einmal mehr überzeugende Entscheidung und den beiden Preisträgern - Herrn Professor von Weizsäcker und Herrn Dr. Zinke - zur Verleihung des "wichtigsten Umweltpreises in Europa", wie die eine bekannte Zeitung neulich schrieb.
Sie, liebe Preisträger, stehen beide für eine große Idee: die Idee der Nachhaltigkeit. Sie geben uns - in Theorie und Praxis - Antworten auf die Frage, wie wir den kommenden Generationen ihre natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen sichern helfen. "Faktor 4" heißt die Vision, die mit Ihrem Namen, lieber Herr von Weizsäcker, verbunden ist. "Faktor 4", das bedeutet die Verdoppelung des Wohlstands bei halbem Naturverbrauch. Ein ehrgeiziges Ziel? Wie ich höre, ist bereits "Faktor 5" in Arbeit, also die Steigerung der Energieproduktivität um 400 Prozent. Das klingt nach Science-Fiction, wenn man bedenkt, dass sich zwischen 1990 und 2007 die Energieproduktivität in Deutschland gerade einmal um 40 Prozent erhöht hat. Doch ich kenne Sie, Herr von Weizsäcker, nicht als Science-Fiction Schriftsteller, sondern als profunden Wissenschaftler, der kühnes Denken mit kühlem Rechnen verbindet. Sie zeigen uns klare - wenn auch anstrengende - Wege auf, wie wir die Herausforderungen meistern können, vor denen die Welt steht. Dafür sind wir Ihnen dankbar.
Und die Geschichte hat genug Beispiele dafür, dass etwas dran ist an dem Satz: "Der einzig wahre Realist ist der Visionär". Bei der Arbeitsproduktivität wurde Faktor 4 in den knapp 50 Jahren seit 1960 zur Realität. Warum soll uns das bei der Energieproduktivität nicht auch gelingen? Die von Ihnen, Herr Dr. Zinke, für die Praxis entwickelten Verfahren zur Energie- und Ressourceneinsparung sind ein Beleg dafür, dass die Vision keine Utopie bleiben muss. Ihre Erfolge zeigen: Wir haben die Kreativität und die technischen Möglichkeiten für eine Revolution in der Energie- und Ressourcenproduktivität. Das sollte uns Mut machen, sie auch konsequent zu nutzen.
Mut und Konsequenz werden wir brauchen, denn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind riesig. In 50 Jahren werden auf der Erde über 9 Milliarden Menschen leben, 3 Milliarden mehr als heute. Alle diese Menschen wollen ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Arbeit und Schulen für ihre Kinder. Heute genießt gerade einmal ein Viertel der Weltbevölkerung die Früchte des wirtschaftlichen Fortschritts. Drei Viertel jedoch wollen mit den Wohlhabenden gleichziehen. Vor allem in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien erleben wir eine wirtschaftliche Aufholjagd und rasante Industrialisierung ungeahnten Ausmaßes. Sie eifern einem Modell nach, das wir - die westlichen Industriestaaten - in den vergangenen 150 Jahren entwickelt haben. Einem Modell, von dem wir jedoch inzwischen wissen, dass es die Tragfähigkeit der Erde überfordert, wenn alle ihm folgen. Wie schaffen wir es, die berechtigten Ansprüche der Entwicklungs- und Schwellenländer nach besseren Lebensbedingungen zu erfüllen, ohne zugleich unser aller Lebensgrundlagen zu gefährden?
Unsere Antwort kann eigentlich nur sein: Wir müssen ein Wohlstandsmodell entwickeln und vor allem vorleben, das weltweit tragbar und übertragbar ist. Das verlangt zweierlei: Erstens und vor allem müssen die Industrieländer ihren "ökologischen Fußabdruck" in der Welt drastisch verkleinern. Und für die notwendigen und glaubwürdigen Veränderungen dürfen wir keine weitere Zeit mehr verlieren. Zweitens: Wir brauchen Technologien und Verfahren, die es den Schwellen- und Entwicklungsländern erlauben, besonders umweltschädliche Kapitel unseres eigenen Industrialisierungsprozesses zu vermeiden. Die Wahrheit ist aber: Von einem solchen zukunftsfähigen Wohlstandsmodell ist die Welt und sind vor allem auch die westlichen Industriestaaten und auch wir in Deutschland noch weit entfernt.
Sicher, in Sachen Nachhaltigkeit hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Der Begriff ist in aller Munde. Keine Partei, die in ihrem Programm nicht für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eintritt, kaum ein Wirtschaftsunternehmen, das in seinem Jahresbericht nicht seine Umweltschutzaktivitäten preist. Ein zunehmendes Bewusstsein ist also da. Und das ist ermutigend.
Und es wird in der Politik auch gehandelt: Die Klimakonferenz in Bali im Dezember vergangenen Jahres hat sich auf das so dringend notwendige Verhandlungsmandat für die Nachfolge des Kyoto-Protokolls verständigt. Die Internationale Naturschutzkonferenz in Bonn in diesem Jahr brachte endlich Bewegung in die seit langem stockenden Bemühungen um den Schutz der Artenvielfalt. Die Europäische Union hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt, die Bundesregierung auf nationaler Ebene umfangreiche Gesetzespakete zum Klimaschutz verabschiedet.
Und dennoch: Besorgniserregende Nachrichten lasen wir in den letzten Wochen nicht nur über die Krise der internationalen Finanzmärkte. Der weltweite CO2-Ausstoß hat im vergangenen Jahr drastisch zugenommen und damit selbst die pessimistischsten Prognosen des Weltklimarates (IPCC) übertroffen. Die vor kurzem von der Weltnaturschutzunion (IUCN) vorgestellte Rote Liste der bedrohten Tier- und Pflanzenarten ist gegenüber dem Vorjahr um 1.300 Spezies länger geworden - mittlerweile sind rund ein Viertel alle Säugetiere vom Aussterben bedroht. Das sind Fakten.
Es muss uns also endlich klar sein: Kleine Kurskorrekturen reichen nicht mehr. Wir brauchen deshalb eine umfassende Strategie für die Verwirklichung der Idee der Nachhaltigkeit. In der soeben erschienen Neuauflage der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag von BUND, von Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst ist von einem notwendigen Zivilisationswandel die Rede. Und eine neue industrielle Revolution brauchen wir allemal. Ich bin überzeugt: Beides wird auch kommen, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich dieser Herausforderung stellen und an einem Strang ziehen - und zwar in die gleiche Richtung: Weg von fossilen Brennstoffen und hin zu erneuerbaren Energien und vor allem hin zu einer massiven Verbesserung der Energie- und Ressourcenproduktivität.
Deutschland als Technologie- und Marktführer in Sachen Energie- und Rohstoffproduktivität - das ist das ehrgeizige und auch machbare Ziel, das wir uns setzen sollten. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie vorgenommen, die Energie- und Ressourcenproduktivität bis 2020 zu verdoppeln. Das ist gut, und ich begrüße das. Doch das Statistische Bundesamt hat im Mai dieses Jahres festgestellt, dass wir dieses Ziel voraussichtlich nicht erreichen werden, wenn wir nicht erheblich an Tempo zulegen.
Das Potenzial dafür ist da. So brauchen wir in Deutschland zum Beispiel die Hälfte unseres Energiebedarfs für die Wärmerzeugung. Hier liegen die Einsparmöglichkeiten mit moderner Technik bei sage und schreibe 70 Prozent. Beim Stromverbrauch wird das Einsparpotenzial auf 20 Prozent geschätzt. Haben wir schon das Konzept, das dieses Potenzial erschließt? Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet an einem Energieeffizienzgesetz, das Bundesumweltministerium hat in der vergangenen Woche einen Nationalen Energieeffizienzplan vorgestellt. Ich begrüße diese Anstrengungen. Sie gehen in die richtige Richtung. Jetzt geht es darum, die besten Ideen zu bündeln, um die größte unerschlossene Energiequelle - die Energieeinsparung - nutzbar machen. Ich denke, bei vielen der dafür nötigen Technologien ist Deutschland bereits heute Weltmarktführer, etwa bei der Heiz- und Klimatechnik. Die deutsche Wirtschaft hat also allen Grund, in einer Effizienzrevolution für sich eine riesige Chance zu sehen. Ergreifen wir sie - auch im Interesse von Arbeit für die Menschen in Deutschland.
Doch so wichtig Erfindergeist und Ingenieurswissen für ein zukunftsfähiges Wohlstandsmodell sind - Nachhaltigkeit ist mehr als ein technologisches Projekt. Sie ist vor allem auch eine Frage der persönlichen Haltung, des Lebensstils von uns allen. Wir alle müssen unsere Einstellungen überprüfen und auf eine neue Balance hinwirken zwischen den Wünschen des einzelnen und dem, was die Erde aushält. Damit meine ich nicht Askese, sondern das Finden von Maß und Mitte für die Eine Welt. Die alten Griechen kannten die Regel: "Von nichts zuviel" Sie wussten, dass bewusster und bejahter Verzicht einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten kann. Doch wie bringen wir diese Erkenntnis unter die Leute und gewinnen ihr eine breite Mehrheit? Sicher nicht, indem wir mit Weltuntergangsszenarien die Menschen zum "Umkehren" bewegen. Das hat eigentlich nie funktioniert. Wohl eher indem wir zeigen: Es geht nicht um Verzicht, es geht um Gewinn.
Aber eben nicht um immer mehr materiellen Gewinn oder immer mehr materielles Wirtschaftswachstum. Dass Geld nicht glücklich macht, ist eine Binsenweisheit, die aber - das zeigt uns die Finanzkrise - immer wieder vergessen wird. Dabei ist sie längst auch wissenschaftlich belegt. Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen, die nur nach materiellem Reichtum streben, weniger Aussicht auf Lebenszufriedenheit haben als jene, die sich persönliche Ziele jenseits des bloßen Konsums stecken und die soziale Beziehungen pflegen. In der schon erwähnten Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" heißt es treffend: "Erst wenn man auch imstande ist, weniger zu wollen, kann man Herr über die eigenen Bedürfnisse bleiben". Ein "Schuss Genügsamkeit" sei die Grundlage der Freiheit. Ich meine: Diese Freiheit sollten wir uns nehmen. Und ich denke, wir werden dann sehen: Eine glücklichere Welt ist möglich.
Schließen möchte ich dieses Grußwort mit dem Appell von Muhammad Yunus, dem "Banker to the Poor" und Friedensnobelpreisträger aus Bangladesch, an die Jugend der Welt: "Und während wir die Politik weiterhin zu mutigen Entscheidungen drängen, um unseren Planeten zu retten, rufe ich die jungen Menschen auf, sich darüber klar zu werden, wie sie handeln wollen, wenn sie erwachsen werden: Sind sie bereit, in ihrem Konsumverhalten zwischen "roten", "gelben" und "grünen" Produkten zu unterscheiden, je nachdem, ob diese negative oder positive Auswirkungen auf das Überleben unseres Planeten haben? Sind sie bereit, nach dem Grundsatz zu handeln, dass jede Generation die Erde in einem besseren Zustand hinterlassen muss, als sie sie vorgefunden hat? Sind sie bereit, dafür zu sorgen, dass ihr Lebensstil nicht das Leben anderer gefährdet? Ich hoffe, dass sie dazu bereit sind - und ich glaube es." Soweit Muhammad Yunus.
Sein Optimismus sollte uns allen Mut machen. Aber wir müssen dafür hart arbeiten. Ich danke Ihnen.