Alle Jahre wieder Erntedankfest, seit vielen Jahrhunderten, in guten wie in schlechten Zeiten, bei schmalen Ernten und bei Überfluss.
Alle Jahre wieder Dankbarkeit und Demut, alle Jahre wieder das Wissen darum, dass es nicht genügt, etwas zu pflegen, kundig und sorgsam damit umzugehen, sondern dass es auch Umstände gibt für den Erfolg, die der Mensch nicht in seiner Gewalt hat, die er nur erbitten und erhoffen kann.
Landwirtschaft hat die Menschen über viele Generationen Augenmaß und Demut gelehrt und hat damit so manchem anderen Wirtschaftszweig einiges voraus. Aus der alten Feierkultur der Bauern ließe sich noch heute eine kleine Kapitalismuskritik entwickeln, denn viele andere Wirtschaftszweige feiern bloß die Gewinne, die nach oben durchbrochenen DAX-Schwellen, den Ritt auf der Welle, und ihre Dankbarkeit wirkt oft nur wie die verkleidete begierige Erwartung kommender Profite.
Ich wünschte mir schon, gerade in diesen Tagen, es kehrte in so manche Unternehmenszentrale und in so manchen Bankenturm etwas von der Nüchternheit, der Alltagsvernunft und der Bescheidenheit ein, die tief in unserer Geschichte und in der Erfahrung wurzeln, dass für niemanden die Bäume in den Himmel wachsen. Das Erntedankfest hält auch die Erfahrung von Krise und Not gegenwärtig. Ob wohl in Zukunft die Banken zum Jahresabschluss dankbar der Wochen gedenken werden, als sie durch staatliches Handeln gerettet wurden, wie das ja nun - richtigerweise! - geschieht?
Aber ich will mich hier und heute nicht weiter mit den aktuellen Verdrießlichkeiten - man könnte auch noch etwas anderes dazu sagen - aufhalten, sondern zum heutigen Fest sprechen, das ja in unseren Breiten und auch in diesem guten Erntejahr ein Fest der Freude, der Dankbarkeit und der Erleichterung ist. Es ist eben nicht selbstverständlich, dass wir unseren Hunger immer und jederzeit stillen können.
Die allermeisten von uns kennen zum Glück nicht mehr die schmerzliche Erfahrung, wie echter Hunger sich anfühlt. Wir können heute am Supermarktregal zwischen dutzenden Sorten Käse, Joghurt und Wurst wählen. Angesichts der großen, ständig verfügbaren Auswahl fällt es uns oft schwer, uns auf eine gesunde Ernährung zu beschränken. Diese Qual der Wahl teilen wir mit den Bürgern vieler Industrieländer. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass rund 400 Millionen Menschen an Fettleibigkeit leiden - Tendenz steigend.
Doch so ungesund das ist - mehr als doppelt so viele Menschen auf der Welt hungern, und das ist nicht das Ergebnis ihrer eigenen Entscheidungen am Süßwarenregal, das ist meist das Ergebnis politischer Versäumnisse. In den Entwicklungsländern fehlt für die Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln zumeist eine entsprechend gut ausgebaute Infrastruktur. Zudem werden die dortigen Märkte oft mit billigen Importen überschwemmt. Das schadet der einheimischen Lebensmittelproduktion, es beraubt die dortigen Bauern ihrer Existenz und verhindert, dass die ärmeren Länder wenigstens in Ernährungsfragen eigene Stabilität und Souveränität erreichen. In den sogenannten Millennium-Entwicklungszielen haben sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unter anderem dazu verpflichtet, bis 2015 den Anteil der Menschen an der Weltbevölkerung zu halbieren, die Hunger leiden, und sie wollen dafür unter anderem ein faires Handelssystem schaffen. In diesen Zusammenhang der Bekämpfung des Welthungers gehören übrigens auch deutlich verstärkte Anstrengungen der Industrieländer für den Klimaschutz und eine gute Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums in allen Ländern. Aber leider sind wir bei alledem noch längst nicht weit genug vorangekommen. Darum hat mit Blick auf die Millennium-Ziele der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon erst kürzlich mit Recht gewarnt: Uns geht die Zeit aus.
Jährlich wächst die Weltbevölkerung um etwa 80 Millionen Menschen - das ist in etwa die Einwohnerzahl von Deutschland. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2050 über neun Milliarden Menschen auf der Erde leben werden - drei Milliarden mehr als heute. Sie alle mit Wasser und Nahrung zu versorgen, das wird eine riesige Herausforderung sein. Wie schaffen wir es, die Lebensmittelproduktion zu steigern, ohne die Ökosysteme weiter zu schädigen? Ich bin überzeugt: Die Landwirtschaft der Zukunft ist eine nachhaltige Landwirtschaft, die sich dem Schutz der Schöpfung verpflichtet fühlt und mit natürlichen Ressourcen so schonend umgeht, dass diese auch den nachfolgenden Generationen erhalten bleiben.
Ich weiß, dass die große Mehrheit der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland sich dieser Verantwortung bewusst ist. Sie wissen, dass ihre Höfe Wirtschaftsbetriebe besonderer Art sind. Ihre Produktionsbasis sind nicht nur Maschinen, sondern auch Wesen aus Fleisch und Blut, sind die Natur und ihre Jahreszeiten. Einige dieser Landwirte habe ich übrigens Anfang des Jahres auf der Grünen Woche kennen gelernt, als ich ihnen den Pro-Tier-Förderpreis für artgerechte Nutztierhaltung übergeben habe. Das Gespräch mit diesen - oft jungen - Bauern, die mit Begeisterung bei der Sache sind, hat mich beeindruckt. Es ist gut, dass es solche Beispiele gibt, die zeigen, dass sich eine nachhaltige, für Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen vorteilhafte Landwirtschaft auch unternehmerisch rechnet.
Auch wenn nur noch jeder fünfzigste hierzulande in der Landwirtschaft tätig ist - deren berechtigte Belange sind darüber gottlob keineswegs in Vergessenheit geraten. Und ich weiß: Wir können uns in Deutschland auf unsere Landwirte verlassen. Mir wurde berichtet, die Ackerbauern hätten in diesem Jahr die zweithöchste Getreidemenge seit der Rekordernte 2004 eingefahren. Meinen Respekt! Ihre Arbeit verdient unser aller Dank und Anerkennung. Auch deswegen bin ich heute hier. Ich freue mich über die schöne Erntekrone, danke allen, die zum Gelingen dieser schönen Feier beitragen, und wünsche unseren Bäuerinnen und Bauern, den Landfrauen und der Landjugend alles Gute.