Eröffnung einer deutsch-moldauischen Wirtschaftskonferenz

Schwerpunktthema: Rede

Chişinău/Moldau, , 29. September 2021

Der Bundespräsident hat am 29. September eine deutsch-moldauische Wirtschaftskonferenz in Chişinău mit einer Ansprache eröffnet: "Politische Reformen, die Bekämpfung der Korruption und eine funktionierende Verwaltung, all das sind Grundpfeiler für ein gelingendes Gemeinwesen. Sie sind auch Voraussetzung für eine schrittweise Annäherung an die EU, hin zu einer Beitrittsperspektive. Dieser Weg ist lang und herausfordernd, und anders als in der Fabel vom Hasen und dem Igel gibt es auch keine Abkürzungen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache zur Eröffnung einer deutsch-moldauischen Wirtschaftskonferenz während einer Reise in die Republik Moldau.

In Deutschland kennt jedes Kind die Gebrüder Grimm, die uns eine bedeutende Sammlung von Volksmärchen hinterlassen haben. Beide Brüder haben uns eine beliebte Fabel überliefert, diese handelt von einem Hasen und einem Igel. Die Geschichte geht so: Ein Igel fordert einen Hasen zum Wettlauf heraus. Als das Rennen auf dem Acker beginnt, läuft der Igel nur ein paar Schritte, hat aber im Ziel seine Frau platziert, die ihm zum Verwechseln ähnlichsieht. Der siegesgewisse Hase ist schon fast im Ziel, da erhebt sich die Frau des Igels und ruft ihm zu: Ich bin schon da!

An diese Geschichte muss ich manchmal denken, wenn ich im Ausland auf Vertreter der deutschen Wirtschaft treffe. Egal, wo ich als Bundespräsident auf der Welt hinkomme, meist warten dort auf mich deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer, die schon lange dort ansässig sind, Arbeitsplätze schaffen und für gute und enge Beziehungen zwischen unseren Ländern sorgen, und rufen mir zu: Schön, dass Sie da sind! Wir sind schon da!

Das letzte Mal war ich 2016 in der Republik Moldau, damals als Außenminister. Dies ist heute die erste Reise eines Bundespräsidenten in die Republik Moldau überhaupt, und ich freue mich sehr, liebe Maia Sandu, heute hier zu sein. Aber wie in der Fabel war ich als Bundespräsident wieder nicht Erster, sondern treffe auf eine etablierte und gut vernetzte deutsche Unternehmergemeinde hier in Chişinău. Ganz nach dem Motto: Wir sind schon da.

Wirtschaftskontakte sind wichtig für die Beziehungen unserer Länder. Diese bestehenden Bande wollen wir ausbauen und in diesen Zeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs und der politischen Erneuerung in Moldau auch die politischen Kontakte zwischen unseren Ländern neu beleben. Meinen herzlichen Dank für Ihre Einladung!

Im zweiten Halbjahr bin ich viel in der östlichen Nachbarschaft Deutschlands inner- und außerhalb der EU unterwegs. Ich war in Polen, Slowenien, Tschechien und der Slowakei. Nächsten Monat reise ich nach Rumänien und in die Ukraine. Das tue ich ganz bewusst. Denn politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung in dieser Region bedingen und befördern sich gegenseitig. Beides ist auch im ureigenen Interesse meines Landes und im Interesse des geeinten Europas. Und deswegen will Deutschland nach Kräften diese Entwicklung stützen – und zwar nicht nur mit Worten. Frau Präsidentin: Ihre Region, Ihr Land, Ihr Erfolg ist wichtig für Deutschland.

Mein Besuch ist also beides: eine Würdigung des politischen Aufbruchs und ganz konkrete Unterstützung. Heute habe ich die Zusage der Bundesregierung für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von knapp 10 Millionen Euro im Gepäck. Damit will Deutschland den Reformen, die Sie, verehrte Frau Präsidentin, angestoßen haben, einen zusätzlichen Impuls geben.

Politische Reformen, die Bekämpfung der Korruption und eine funktionierende Verwaltung, all das sind Grundpfeiler für ein gelingendes Gemeinwesen. Sie sind auch Voraussetzung für eine schrittweise Annäherung an die EU, hin zu einer Beitrittsperspektive. Dieser Weg ist lang und herausfordernd, und anders als in der Fabel vom Hasen und dem Igel gibt es auch keine Abkürzungen. Aber ich bin sicher: Der Weg, den Sie hier in Moldau eingeschlagen haben, weist in die richtige Richtung. Er kann das Land in eine bessere Zukunft führen. Dafür, verehrte Frau Präsidentin, versichere ich Ihnen die volle Unterstützung meines Landes.

Aber wir wissen auch: Der Wandel kann nicht nur von oben kommen, er braucht die Unterstützung einer lebendigen Zivilgesellschaft. Und er muss getragen werden von einer starken Wirtschaft, die gute Arbeitsplätze bringt, in der die Menschen Lebenschancen für sich sehen und eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. Wenn deutsche Unternehmen hier Jobs schaffen, dann hilft das auch dabei, Fachkräfte im Land zu halten.

Das ist die Motivation für die heutige Wirtschaftskonferenz. Deutschland und die Republik Moldau sind schon heute enge Handelspartner. Deutschland ist viertgrößter Exportmarkt Moldaus und wiederum fünftgrößter Importpartner. Der Bestand an deutschen Direktinvestitionen beläuft sich auf rund 275 Millionen Euro. Deutsche Unternehmen schufen hier fast 9.000 Arbeitsplätze – in der Automobilzulieferindustrie, im Maschinenbau, in der Lebensmittelbranche, aber auch in vielen anderen Sektoren. Und deswegen begleiten mich in meiner Wirtschaftsdelegation auch Vertreterinnen und Vertreter aus der Agrar-, der IT- und Elektrobranche und der Automobilzuliefer- und Baustoffindustrie.

Die Zahlen sind beachtlich. Aber angesichts der politischen Aufbruchstimmung, angesichts der Zeitenwende hier in Moldau, die wir in diesen Tagen spüren, sehe ich großes Potenzial, hier deutlich nachzulegen. Wir wollen deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer in ihrem Handeln in Moldau und ihrem Handel mit Moldau bestärken. Und wir wollen Perspektiven aufzeigen für neue wirtschaftliche Kooperationen, und zwar in beide Richtungen.

Denn das ist mir in Zeiten zunehmenden Protektionismus besonders wichtig: Ein fairer Freihandel ist kein Nullsummenspiel. Beide Seiten profitieren – wirtschaftlich und politisch. Das ist also mein Wunsch für den heutigen Tag: Lassen Sie uns unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausbauen – für Moldau, für Deutschland!

Wenn wir über Wirtschaft reden, ist das Gespräch über Geld nicht fern. In der Republik Moldau wird mit dem Leu bezahlt. Leu – der Löwe. Ich muss nun keine Fabel erzählen, um zu sagen: Der Löwe ist ein stolzes, ein starkes Tier. Moldau ist ein stolzes Land, und es bringt viele Voraussetzungen dafür mit, ein wirtschaftlich starkes Land zu werden. Ein Land, das am geographischen Rand Europas liegt, das aber in seinem Aufbruch, mit seiner Dynamik und Entschlossenheit, die Sie, Frau Präsidentin, verkörpern, unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung verdient – und das Chancen bietet. Die Zukunft Moldaus liegt mir am Herzen. Und ich hoffe, dass mir, wenn ich das nächste Mal komme, noch mehr deutsche Unternehmer zurufen: Ich bin schon da.

Ihnen allen wünsche ich eine erfolgreiche Konferenz. Herzlichen Dank.