Alles ist aus dem Wasser entsprungen! Alles wird durch das Wasser erhalten!
– ein Zitat, wie Sie unschwer erraten. Aber nicht von Mojib Latif oder Hans Joachim Schellnhuber, sondern von Johann Wolfgang von Goethe im zweiten Teil des Faust. Wir zitieren sie gern, unsere Klassiker, das heißt allerdings nicht, dass wir sie deshalb schon ernst nehmen.
Jedenfalls: Um Wasser geht es auch heute, hier in Erfurt, wo ich die Freude und die Ehre habe, zum zweiten Mal als Bundespräsident diesen Deutschen Umweltpreis zu überreichen.
Wasser war den Deutschen lange kein Thema. Warum darüber diskutieren, es kommt ja aus dem Hahn – immer, wenn wir es wollen und in höchster hygienischer Qualität. Und wenn es mal nicht um Wasser aus dem Hahn geht, dann war es den meisten Deutschen eher zu viel als zu wenig. Eher haben wir über verregnete Sommer geklagt, als über Dürreschäden in der Landwirtschaft.
Aber das ist Geschichte. In diesem Jahr ist alles anders! Sommer – ohne Ende. Temperaturen am Limit. Selbst überzeugteste Sonnenanbeter, Grillfreunde und Biergartenbesucher wurden unruhig. Kann das noch normal sein – Wochen und Monate ohne einen Tropfen Regen, von den Besorgnissen in der Landwirtschaft gar nicht zu reden. Der Zeitraum von April bis August 2018 war der wärmste und zugleich niederschlagsärmste seit dem Beginn systematischer Messungen im Jahr 1881. Bilder von der Schifffahrt auf dem Rhein und die Erträge der diesjährigen Ernte sprechen ihre ganz eigene Sprache.
Erstmals – jedenfalls solange ich zurückdenken kann – war Trockenheit und Wasser Thema nicht nur auf nationalen und internationalen Fachkonferenzen, sondern auch an den Abendbrottischen der Deutschen. Und es ist gut, dass die Themen endlich in der breiten öffentlichen Debatte angekommen sind. Noch besser wäre es, wenn allen, die hier an der Debatte teilnehmen, klar wäre, dass Menschen in vielen Teilen der Welt nicht mehr diskutieren, sondern im täglichen Überlebenskampf sind – dort, wo mehr als zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Regionen, in denen der wenige Regen ganz ausbleibt, werden zahlreicher. Klimawandel und Wassermangel treiben immer mehr Menschen zur Flucht.
Wasser ist Leben: Lebenselixier, Lebensmittel, Lebensfreude. Unersetzlich für jeden einzelnen von uns, aber auch für die Welt als Ganze. Unsere Weltmeere sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen – wichtig genug –, aber doch weit mehr als das: Sie sind zugleich der wichtigste Wärmespeicher auf der Erde, und sie regulieren unser Klima. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob die Nachricht über die Befahrbarkeit der Nordwestpassage wirklich eine gute Nachricht ist – beschreibt sie doch zugleich, dass Klimaveränderungen gewaltigen Ausmaßes die Bedingungen im Polarmeer entscheidend verändern. Und schwindet das Polareis, steigen nicht nur die Wasserpegel, sind nicht nur viele Küstenregionen, gar ganze Inselstaaten in ihrer Existenz bedroht, sondern – weitaus dramatischer noch – gerät mit dem Abschmelzen des Polareises die Balance des Weltklimas endgültig aus den Fugen.
All das ist nur ein kleiner, natürlich unvollständiger Ausblick auf unsere aktuelle Lage. Doch er macht eben auch in dieser Bescheidenheit die Dringlichkeit des Themas allzu deutlich. Und er erklärt Ihnen auch, warum ich mich besonders freue, dass ich den Deutschen Umweltpreis in diesem Jahr Wissenschaftlern überreichen darf, die sich mit Wasser, oder genauer gesagt, mit dem Schutz von Wasser und den Meeren beschäftigen.
Mit diesem Preis wird herausragende Arbeit gewürdigt, er ist aber auch ein Signal für Tausende von Menschen, die sich ehrenamtlich und hauptberuflich für den Schutz unserer natürlichen Ressourcen engagieren. Ihnen allen, hier im Saal und auch denen, die nicht hier sind, draußen im Land, ganz herzlichen Dank für Ihren aktiven Umweltschutz, den Sie alle leisten!
Sie alle haben dazu beigetragen, dass Wissen über unsere Umwelt und Wissen, wie sie zu schützen ist, in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind. Umwelt- und damit auch Klimaschutz ist eine Aufgabe, die jeden Einzelnen angeht, und bei der auch jeder Einzelne etwas tun kann. Sie alle machen uns das tagtäglich vor, und auch deshalb ist dieser Preis – samt der öffentlichen Wahrnehmung, die es natürlich mit der Preisverleihung gibt – so unendlich wichtig!
Aber: Gelingen kann eine große Aufgabe wie diese nur, wenn wir Umwelt- und Klimaschutz im globalen Kontext sehen. Die Umwelt endet nicht an Landesgrenzen, und auch ihr Schutz endet nicht dort. Die Folgen des Klimawandels sind längst auf der ganzen Welt spürbar, und sie sind existenziell. Es sind Folgen, die nicht errechnet oder in eine ferne Zukunft prognostiziert werden, sondern die wir mit eigenen Augen auch bei uns, und zwar jetzt schon, sehen können: Wanderer, die den vor Jahren begangenen Gletscher nicht wiederfinden. Hausbesitzer, die immer häufiger Sturmschäden reparieren müssen. Veränderungen der Vegetationsgrenzen – nicht nur beim Weinanbau – von Süden nach Norden.
Und wir sehen auch, dass Auseinandersetzungen um Klima- und Umweltschutz, wie vor einigen Wochen im Hambacher Forst, mit wachsender Unerbittlichkeit auf allen Seiten ausgetragen werden. Ich will daran erinnern: Umwelt- und Klimaschutz sind Aufgaben, denen wir alle verpflichtet sind. Diese Aufgaben sind zahlreich und dringlich. Und deshalb ist es wichtig, alle, ich betone alle, gesellschaftlichen Akteure in Lösungen einzubeziehen, um den notwendigen Ausgleich von ökologischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und industriepolitischen Interessen immer wieder hinzubekommen. Das muss uns besser gelingen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Denn: Wir müssen handeln, wir müssen gemeinsam handeln, und wir müssen schnell handeln!
Und natürlich muss Deutschland den internationalen Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, auch tatsächlich nachkommen. Ich bin sicher, wir können das! Und andere vertrauen darauf, dass gerade wir – als eine starke Volkswirtschaft – unsere Vorreiterrolle, die wir beim Einsatz von erneuerbaren Energien und Umwelttechnologien gespielt haben, nicht aufgeben.
Und zur ganzen Wahrheit gehört am Ende auch: Es gibt auf diesem Feld nicht nur schlechte Nachrichten. Es ist ermutigend, dass es auf internationaler Ebene Erfolge gibt. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist ein gewaltiger Fortschritt. Das weiß jeder, der an den Verhandlungen teilgehabt hat.
Der Weltgemeinschaft kann es gelingen, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen, auch beim Klimaschutz. Das hat Paris vor drei Jahren gezeigt. Das Pariser Abkommen ist, wie fast alle multilateralen Abkommen, nicht perfekt. Aber es ist die Grundlage für alle weitere Zusammenarbeit – und das muss es auch bleiben! Bei Ihrem gestrigen Symposium haben Sie sich zu Recht Gedanken gemacht, wie bei der bevorstehenden 24. Weltklimakonferenz in Katowice Anfang Dezember 2018 die international angestrebte Reduzierung von Treibhausgasen in erreichbare Ziele übersetzt werden kann. Alle staatlichen und nicht-staatlichen Ebenen müssen für den Klimaschutz zu einer größeren Allianz zusammenfinden.
Der Weg zu globalen Lösungen, das wissen wir, ist kein einfacher es gibt dabei immer wieder Rückschläge. Und natürlich ist es fatal, wenn sich einer der größten Treibhausgasemittenten der Welt zurückzieht und die multilaterale Zusammenarbeit sogar insgesamt infrage stellt. Und dennoch: Wir können und wir werden auch weiterhin Fortschritte machen, wenn wir mit all denen zusammenarbeiten, die weiterhin an multilaterale Lösungen glauben – und die gibt es in allen Teilen der Welt und – Sie hier im Saal wissen es – die gibt es auch in den USA!
Meine Damen und Herren Preisträger, ganz egal, was die Politik unternimmt oder unterlässt: Fortschritte sind undenkbar ohne Ihre Forschungsarbeit! Sie, Frau Professor Boetius, betreiben seit vielen Jahren Grundlagenforschung. Sie tun das mit großer Leidenschaft und mit innovativen Methoden, und Sie werden dafür international geschätzt und anerkannt. Sie besitzen aber auch eine ganz andere wunderbare Gabe – ich habe das selbst kürzlich auf einer Finnlandreise gemeinsam mit Ihnen erleben dürfen –, die Gabe, Ihre Forschung so zu erklären, dass Laien sie verstehen können. Und Sie lassen keinen Zweifel, wie weit der Klimawandel schon vorangeschritten ist und Sie lassen keinen Zweifel an der Dringlichkeit unseres Handelns.
Der Schutz unserer Meere und des Polareises ist Kern Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und zugleich Ihr Herzensanliegen. Und dafür möchte ich Ihnen heute danken! Sie haben dazu beigetragen, dass wir sehr viel mehr wissen über die Bedeutung der Ozeane – vor allem über den Zusammenhang und die Wechselwirkung von Polareis und Weltklima. Ihre Forschungen haben darüber hinaus aber auch – im wahrsten Sinne des Wortes – Tiefgang. Zu Ihren Spezialgebieten gehört die immer noch weitgehend unerforschte Tiefsee.
Sie, Frau Boetius, interessieren sich für kleinste, für das menschliche Auge unsichtbare, Wesen mit fabelhaften Eigenschaften. Von Ihnen habe ich gelernt, dass Bakterien in diesen geheimnisvollen Gefilden eine ganz wichtige Rolle beim Klimaschutz spielen. Sie bauen Methan ab, ein Treibhausgas, das im Grund des Ozeans in großen Mengen vorkommt. Diese winzigen Organismen da unten tragen ganz entscheidend dazu bei, dass sich die Atmosphäre nicht noch schneller aufheizt. Doch selbst diesen fernen Lebensraum der Tiefsee-Bakterien beeinflussen wir Menschen hier oben auf der Erde, auch das haben Sie nachgewiesen. Das ist wirkliche Pionierarbeit, die Sie leisten, und wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zu diesem hochverdienten Preis!
Pionierarbeit leisten auch Sie, Herr Professor Roland Müller, Herr Dr. Manfred van Afferden und Frau Dr. Mi-Yong Lee, Sie, lieber Herr Wolf-Michael Hirschfeld, hier oben auf der Erde. Ihre Maxime ist im besten Sinne Hilfe zur Selbsthilfe. Sie arbeiten interdisziplinär, kreativ und lösungsorientiert. Sauberes Wasser für alle
, das ist ein erklärtes Ziel der Vereinten Nationen, und Sie haben sich als Team diesem Ziel verpflichtet. Ihre wissenschaftliche Arbeit, die Sie auch gleich in die Praxis umsetzen, trägt viel dazu bei, dass ein Land wie Jordanien diesem Ziel näher kommen kann – ein Land also, das zu den wasserärmsten der Welt gehört.
Ich habe dieses Land in den vergangenen Jahren häufig besucht. Schon früher, weiß ich, gab es dort Regionen, in denen die Menschen nur einmal in der Woche Wasser bekamen. Dann begann der Krieg in Syrien, und Millionen Menschen mussten fliehen – vor allem in die Nachbarländer Libanon und Jordanien. Und Jordanien hat mehr als 650.000 Menschen Zuflucht gewährt, und das ist nur die offizielle Zahl – vermutlich ist die inoffizielle Zahl der Nichtregistrierten noch einmal genauso hoch. Und so bekamen dieselben Menschen, von denen ich sprach – statt einmal die Woche – nur noch einmal alle zwei Wochen Wasser. Das ist nur ein Beispiel, an dem Sie sich vorstellen können, was die Flüchtlingsaufnahme für aufnehmende Gesellschaften in dieser Region bedeutet und welch neue Konflikte im Aufnahmeland dadurch entstehen. Dass Jordanien dennoch Hilfsbereitschaft zeigt, das ist eine Leistung, die wir gar nicht hoch genug schätzen können, und auch daran will ich heute Morgen erinnern und den Vertretern des Landes Jordanien auch dafür herzlichen Dank sagen.
Die kostbare Ressource Wasser zu schützen, ist für Jordanien existenziell. Dort, wie in vielen anderen armen Ländern, gelangt auch sehr viel Abwasser in das Trinkwasser, und das verschärft das Problem noch einmal. Ihnen, sehr geehrte Mitglieder des Expertenteams aus Leipzig, ist es gelungen, ein neues flexibles System zu entwickeln, mit dem Abwasser direkt vor Ort geklärt und dann zur Bewässerung verwendet werden kann. Dahinter verbirgt sich nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, hin zu einer wirklich nachhaltigen Lösung. Dank Ihres dezentralen Systems wird Jordanien die Menge seines gereinigten Abwassers bis zum Jahr 2025 fast verdoppeln können. Das ist ein riesiger Sprung nach vorn, und auch andere wasserarme Länder der Region interessieren sich bereits für Ihr Modell. Ich bin sicher, es wird Schule machen. Auch Ihnen gratuliere ich zu dieser hochverdienten Auszeichnung!
Wer mit Klimaforschern spricht, erwartet, auf besorgte, enttäuschte, resignierte Menschen zu treffen. Und ich könnte auch manche Resignation derer verstehen, die vor dem Hintergrund unabweisbarer Forschungsergebnisse oft genug Mut und Einsicht der Politik vermissen. Aber weit gefehlt: Menschen wie Sie, Frau Boetius, strahlen überhaupt keinen Pessimismus aus. Im Gegenteil: Ihre tätige Zuversicht hat eine Strahlkraft, die andere mitzieht. Wir können handeln, sagen Sie – wenn wir wirklich wollen. Und Sie erinnern an die Diskussion um das Ozonloch, das von Jahr zu Jahr größer wurde. Doch dann einigte sich die internationale Staatengemeinschaft darauf, die für die Ozonschicht so schädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) nicht mehr einzusetzen – hat inzwischen sogar die Herstellung verboten. Und es gibt tatsächlich ermutigende Anzeichen, dass sich die Ozonschicht langsam erholt. Es gibt also Gründe – sagen Sie –, auf die Vernunft und die Verantwortung der Menschen zu hoffen.
Sie alle, verehrte Preisträger, gehen neue Wege beim Umwelt- und Klimaschutz. Sie vollbringen dabei nicht nur Pionierleistungen, Sie zeigen Wege und Auswege, Perspektiven für eine bessere Zukunft. Das ist unendlich wichtig in dieser Zeit voller Krisen, Umbrüche und Verunsicherung. Sie zeigen uns, dass der Klimawandel kein Schicksal ist, sondern dass wir etwas dagegen tun können, dass wir unsere Zukunft gestalten können. Das macht Mut, den brauchen wir mehr denn je, und deshalb brauchen wir Menschen wie Sie. Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Umweltpreis 2018!