Liebe Bürgerinnen und Bürger,
herzlich willkommen im Park von Schloss Bellevue, herzlich willkommen in unserer Hauptstadt Berlin, und vor allem: Herzlich willkommen zu Ihrem Bürgerfest!
Meine Frau und ich freuen uns, Sie alle hier zu haben. Ganz besonders herzlich möchte ich die vielen unter Ihnen begrüßen, die sich im Ehrenamt engagieren. Dies ist vor allem Ihr Fest, denn der heutige Tag feiert und würdigt Ihr Ehrenamt. Danke für Ihre Ideen, Ihre Initiativen und die vielen tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit, die Sie unserem Land und den Menschen in unserem Land schenken! Ein riesengroßes Dankeschön an Sie alle!
Ebenso danken möchte ich unseren Gästen aus Sachsen und Italien. Sie sind in diesem Jahr die Partnerländer, die zusammen mit vielen weiteren Partnern dieses Fest mitgestalten. Ich begrüße sehr herzlich den Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer, und den Staatssekretär im italienischen Außenministerium, Guglielmo Picchi.
Lieber Herr Ministerpräsident,
in Ihrer Landeshauptstadt, in Dresden, da hat vor ungefähr 200 Jahren Caspar David Friedrich eines seiner bekanntesten Bilder gemalt: Meeresküste bei Mondschein, der eine oder andere kennt es. Es kam mir vor kurzem in den Sinn. Es ist wie viele von Friedrichs Bildern sehr schön, aber auch sehr düster, sehr romantisch und sehr deutsch – an Heiterkeit und Farbenpracht sicherlich kaum zu überbieten, werden sich unsere italienischen Freunde belustigen. Und in der Tat: Das Meer ist dunkel. Über dem Wasser türmen sich schwere Wolken auf. Wolken, die den Mond verdecken. Ein Kahn liegt gekentert im Schlick und ein Unwetter zieht auf.
Wer heutzutage die Zeitung aufschlägt, den mag manchmal ein Gefühl beschleichen, wie dieses Gemälde es vermittelt. Ja, es gibt Spannungen in der Gesellschaft, es gibt Konflikte – in unserem Land und auch bei unseren heutigen Partnern: in Italien, auch in Sachsen. Das haben wir erst in der vergangenen Woche gesehen: Wir erlebten Hass, sogar Gewalt auf offener Straße.
Aber wer das Gemälde kennt, von dem ich spreche, der erinnert sich vielleicht: Für den Betrachter ist nicht die Düsternis im Bild das Beherrschende, es ist die lebendig-lodernde, kräftige Flamme in der Mitte des Bildes – ein wärmendes Feuer, um das sich Menschen versammeln. Nicht die Düsternis, das Helle ist die Botschaft!
Diese Flamme ist, was wir Menschlichkeit nennen. Menschlichkeit ist, was uns verbindet und wärmt. Ohne sie gelingt kein Zusammenhalt, ohne sie ist jedes Zusammenleben schwer. Menschlichkeit ignoriert nicht Unterschiede, Vorlieben und Abneigungen, sie ignoriert nicht Angst und Ärger. Aber sie ist ein Schutz, dass nicht alles, was Unzufriedenheit hinterlässt, in grenzenlose Wut und offenen Hass umschlägt. Eine offene Gesellschaft, wie sie die Mehrheit in unserem Land will, leugnet nicht die Schattenseiten und muss die Debatte über diese Schattenseiten auch wollen. Aber vor allem ist sie ein Angebot, nicht nur das Düstere zu sehen, sondern sich um das Licht zu versammeln. Sie muss Offenheit zeigen, auch Kritik und abweichende Meinungen zulassen. Aber – und darauf kommt es mir an: sie darf sich nicht einschüchtern lassen! Und deshalb ist es gut, dass Menschen nicht nur gegen etwas auf die Straße gehen; es ist gut, dass sich auch diejenigen, die für Demokratie und für Zusammenhalt stehen, zeigen.
Und, liebe Gäste: Sind Zusammenhalt und Menschlichkeit nicht auch das, was Sie in Ihrem ehrenamtlichen Tun bewegt und antreibt? Sie alle wissen: Bürgersein in der Demokratie ist viel mehr als ein Katalog von Rechten und Ansprüchen. Es bedeutet zuallererst Menschsein. Und das heißt: Nicht sich selbst genug sein, natürlich an die eigene Zukunft, die Familie, aber eben auch an andere denken. Es ist Anspruch und Verpflichtung – sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber.
Und deshalb lautet das Motto des Bürgerfests in diesem Jahr ganz einfach: Zusammenstehen! Wir wollen gemeinsam Flagge zeigen! In Zeiten, in denen immer öfter von den dunklen Wolken gesprochen wird, von Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft, von Verrohung der Sprache, von Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit, da wollen wir heute Abend ein anderes Zeichen setzen, ein Zeichen gegen Spaltung und für Zusammenhalt. Dafür, dass Sie, liebe Gäste, liebe Freunde, heute auch für ein solches Zeichen gekommen sind, dafür wollen wir Ihnen danken!
Seit anderthalb Jahren darf ich nun Ihr Bundespräsident sein und in dieser Zeit sind meine Frau und ich auf Deutschlandreise durch alle 16 Bundesländer gewesen. Wir haben unser schönes Land in seiner ganzen Vielfalt gesehen – die vielen, kleinen und großen Orte der Demokratie. Die Orte, wo Neues gelingt und es Erfolge zu feiern gibt, aber auch Orte, wo es Spannungen gibt und wo um Lösungen noch gerungen wird. Doch in aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit hat uns eines am meisten beglückt: die Vielen, die dafür arbeiten, dass Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Chancen, mit unterschiedlichen Haltungen und Meinungen in diesem Land friedlich zusammenleben können. Sie alle stehen für eine Gesellschaft, die zusammenhält. Sie sind es, die Probleme nicht nur benennen und mit dem Finger auf andere zeigen, sondern die sich aufs Probleme-Lösen konzentrieren und gemeinsam mit anderen die Dinge zum Besseren verändern. Denn Zusammenstehen – das geht nicht allein im stillen Kämmerlein, sondern das müssen wir wollen und das müssen wir tun. Und Sie, die Sie heute hier versammelt sind, Sie tun es – und dafür will ich Ihnen heute Danke sagen!
Die Vielfalt des Engagements, das meine Frau und ich gesehen haben und das Sie hier heute verkörpern, ist schier überwältigend. Es sind so viele Stunden ehrenamtlicher Arbeit, dass man sie kaum zählen kann, und so viel Leidenschaft, dass man sie gar nicht messen kann. Arbeit in Vereinen, Stiftungen oder Verbänden – Umwelt und Kultur, Integration und Inklusion, Sport und Bildung. Jedes Projekt steht für sich – und jedes ist unvergleichbar viel wert. Aber in der Zusammenschau aller, von hier oben, und nachher beim Rundgang zu den vielen Ständen, da entsteht noch ein anderer, ein größerer Eindruck. Da spürt man: Es ist nicht nur ein kleines Feuerchen, wie in jenem Gemälde, sondern es ist eine große, leuchtende Flamme, die wir sehen. Und dieses Licht auch durch Zeiten, in denen es schwieriger ist, auch durch Herausforderungen und Konflikte zu tragen, sich mit Mut und Vertrauen stark zu machen für die Demokratie – dafür stehen wir zusammen mit der ganz großen Mehrheit der Menschen in unserem Land ein. In einer Demokratie wird jeder gebraucht, und wir werben um jeden. Und wir zeigen nicht nur heute Abend: Wir haben ein gemeinsames Fundament. Wir verschwenden nicht unsere Kraft darauf, dass die Gräben tiefer werden in unserer Gesellschaft. Wir wollen das Gegenteil: Wir wollen Zusammenhalt! Und wir wissen: Wir sind stärker, wenn wir zusammenstehen.
Ich will die Gelegenheit nutzen, die Menschen hervorzuheben, deren Engagement nicht jeder wahrnimmt, deren Ehrenamt, das sie mit Leidenschaft und viel Zeiteinsatz erfüllen, oft im Verborgenen passiert und die selten, ganz selten auf der großen Bühne stehen. Ich denke an die, die Alte und Kranke, die ohne Angehörige sind, im Krankenhaus oder im Altersheim besuchen. Ich denke an die, die Sterbende in den letzten Stunden des Lebens begleiten. Ich denke an die, die Kindern vorlesen oder bei den Hausaufgaben helfen. Ich denke an die, die auf dem Land, dort, wo viele weggezogen sind und es still geworden ist, die Leere nicht einfach zulassen, sondern sich zusammentun und das Leben lebenswert halten. Und ich denke an die Feuerwehrleute und Helfer, die zuletzt, gar nicht weit weg von hier, ihre Gesundheit, ihr Leben riskiert haben, um die gewaltigen Brände in Brandenburg zu löschen. Einige von Ihnen sind heute Abend hier. Denen sagen wir einen besonderen Dank. Allen, die sich kümmern um andere, um den Ort, die Region und die Menschen, die dort leben, denen sagen und zeigen wir mit diesem heutigen Abend: Wir wollen zusammenstehen!
Es geht auch nicht ohne die politisch Engagierten, ohne die, die in öffentlichen Ämtern, Institutionen oder Parlamenten Verantwortung übernehmen. Die vielen, die nach dem 8-Stunden-Tag nicht nach Hause gehen, sondern in den Gemeinderat und dort über die Anliegergebühren und die Umgehungsstraße streiten müssen. Auch das soll heute unser Zeichen sein: Wir machen die Spalterei nicht mit. Diese politisch Engagierten – Bürgermeister, Landräte und Gemeinderäte – sie sind nicht die da oben
oder das sogenannte Establishment
. Nein, sie sind Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, Verantwortung zu tragen. Ohne diese Bereitschaft funktioniert die Demokratie nicht. Und deshalb sagen wir heute Abend: Nicht gegen sie, sondern mit ihnen wollen wir zusammenstehen!
Auch das gehört zu diesem Bürgerfest: Aufmerksamkeit für solche Ehrenamtlichen, von denen ich auch viele getroffen habe im Land. Es gibt Engagierte, die ernten im Alltag nicht Dank, nicht Lob – und nicht einmal Respekt. Sondern die werden beschimpft für ihre Arbeit. Die werden bedroht, weil sie Obdachlosen oder Flüchtlingen helfen, oder weil sie den Mund aufmachen. Bitte lassen Sie uns das heute geraderücken: Nicht diejenigen müssen sich rechtfertigen, die Mitmenschlichkeit beweisen, sondern die, die sie verweigern! Bitte lassen Sie uns heute deutlich zeigen: Gegen grundlose Wut, auch gegen Demokratieverachtung, die es gelegentlich gibt, wollen wir zusammenstehen! In der Demokratie muss gestritten werden, notfalls auch laut, aber es geht nicht ohne den Willen zur Verständigung und nicht ohne Respekt vor anderen und den Institutionen der Demokratie. Denen, die jetzt wieder lautstark unterwegs sind mit der Parole: Das System muss weg!
, die erinnere ich an die Folgen, die die Verachtung der ersten Demokratie auf deutschem Boden hatte. Und ich rufe ihnen zu: Verleumdet nicht die Demokratie als System
! Ich sage es mit den Worten von Berthold Kohler, aus seinem Leitartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von gestern: dass diese Republik bei allen Mängeln, Irrwegen und Versäumnissen die freieste und demokratischste ist, die es je auf deutschem Boden gab.
Ein Land mit unserer Geschichte darf das niemals vergessen.
Demokratie lebt nicht allein aus sich heraus, aus der Verfassung und aus geschriebenem Recht. Demokratie braucht Haltung und Engagement. Demokratie verlangt Respekt und die Bereitschaft zum Kompromiss.
Unsere Demokratie, das darf ich nach vielen Jahren Erfahrung mit und in der Politik sagen, lebt von Menschen, die nicht nur danach fragen, was das Land für sie tut, sondern auch fragen, was sie für das Land tun können.
Menschen, die nicht nur schimpfen und meckern. Menschen, die anpacken und nicht nur Schuldige und Sündenböcke suchen. Menschen, die über den Tellerrand der eigenen Interessen hinausschauen und für Mitmenschen da sind. Menschen, die sich um mehr kümmern als nur sich selbst.
Kurz gesagt: Demokratie braucht Menschen wie Sie. Ohne Menschen wie Sie wären wir nicht dasselbe Land, wäre es ärmer und kälter um uns herum. Sie erst machen das Leben in unserem Land reich, wertvoll, lebenswert. Und Sie heute Abend hier im Park des Bellevue stehen für Hunderttausende und Millionen in ganz Deutschland. Das macht mich stolz auf unser Land und besonders auf Sie. Seien Sie es auch! Seien Sie stolz auf sich und das, was Sie für die Demokratie leisten!
Danke, dass Sie hier sind. Ich wünsche Ihnen ein entspanntes und fröhliches und, im Unterschied zum letzten Jahr, regenfreies Bürgerfest! Schön, dass Sie da sind und noch einmal: Herzlich willkommen!