So sehen sie also aus, die Mächte der Finsternis und revolutionärer Umtriebe
. Erschrecken Sie nicht! Das meine nicht ich, sondern so tönte ein hoher bayerischer Richter, Statthalter des Königs, als er die Gründungsväter Ihrer Kammer vor 175 Jahren beschimpfte. Die IHK Pfalz ein Nährboden der Finsternis
. Glauben Sie mir, meine Personenschützer sind sehr erleichtert, dass von Ihnen, meine Damen und Herren, heute aller Voraussicht nach keine revolutionären Umtriebe ausgehen werden.
Damals, im Gründungsjahr Ihrer Kammer 1843, war das anders. Eine Wirtschaft, die sich selbst verwaltete und damit der direkten Kontrolle des Staates entzog – das war den gekrönten Häuptern in München suspekt. Aus deren Sicht nicht ganz zu Unrecht. Elf Jahre zuvor, am 27. Mai 1832, feierten Zehntausende hier auf dem Hambacher Schloss ein Fest der Freiheit. Eine schier endlose Prozession von Bürgerinnen und Bürgern bahnte sich den Weg von Neustadt hoch zum Schloss. Und es waren auch Kaufleute, die sich an die Spitze des Zuges setzten. Etwa der Weinhändler Friedrich Deidesheimer, einer der Mitunterzeichner des Aufrufs zum Hambacher Fest. Oder der Kaufmann Johann Philipp Abresch. Er nähte die erste Fahne in den Farben Schwarz-Rot-Gold. Darauf die Aufschrift: Deutschlands Wiedergeburt
. Die Demokratiebewegung des Vormärz, die in der Paulskirche 1848 ihren Höhepunkt fand, ging auch von hier aus.
Das zeigt, nicht nur die Göttinger Sieben
, nicht nur Studenten und Professoren gingen für ein freies und demokratisches Deutschland auf die Straße. Dass wir heute in Einigkeit und Recht und Freiheit leben, verdanken wir auch dem Mut von Kaufleuten, Handwerkern, Arbeiterinnen und Arbeitern. Auf solche Vorbilder können Sie zu Recht stolz sein!
Und sie müssen uns auch heute Vorbild sein. Unsere Demokratie gehört uns allen – aber das heißt, dass es uns auch alle angeht, diese Demokratie aufrecht zu halten und gegen ihre Feinde zu verteidigen. Natürlich findet in der repräsentativen Demokratie die Tagespolitik in Regierungen und Parlamenten statt. Aber Demokratie lebt eben nicht nur dort. Auch Unternehmen und Betriebe sind Orte der gelebten Demokratie, und das nicht nur – wie derzeit – bei den Betriebsratswahlen. Ausbildungsbetriebe sind Orte, an denen aus jungen Menschen auch wirtschaftlich selbständige und selbstbewusste Bürger werden. Bürger, die etwas beizutragen haben und Verantwortung für sich und andere übernehmen. Mündige und tätige Demokraten kommen eben nicht nur aus Hörsälen und universitären Lehrstühlen, sondern ebenso von den Werkbänken und Berufsschulen. Daran erinnert uns die stolze Tradition des Hambacher Fests. Und deshalb ist die berufliche Bildung eine tragende Säule natürlich unserer Wirtschaft, aber auch unserer Demokratie. Sie in der IHK tragen hierfür eine besondere Verantwortung – und Sie nehmen diese Verantwortung ernst.
Meine Frau und ich wollen Sie dabei unterstützen. Wir werden Mitte April gemeinsam mit den Verbänden, Gewerkschaften und Kammern eine Woche der Beruflichen Bildung veranstalten. Wir werden durch Deutschland reisen, um die Werbetrommel für die berufliche Bildung zu rühren, um laut zu sagen, warum sie mehr Wertschätzung verdient und dass sie Zukunft für junge Menschen sein kann. Natürlich werden wir auch auf ehrenamtliche Prüfer in den Kammern treffen. Wir wollen diesen Frauen und Männern zeigen, wie wichtig ihr Wirken für die Wirtschaft ist, und wie unverzichtbar ihr Dienst für Deutschland. Auch in diesem Saal sehe ich heute viele Ehrenamtliche, die in und mit den Kammern und auch für Ausbildung unterwegs sind. Herzlichen Dank für Ihren Einsatz. Machen Sie weiter so. Ohne Sie geht es nicht!
Aus dem Hambacher Fest, dieser Großdemonstration in der Rheinpfalz, wurde ein Ereignis nationaler, ja internationaler Tragweite. Nicht anders verhält es sich mit den Industrie- und Handelskammern, von denen viele in der Zeit des Vormärz gegründet wurden. Als Treffpunkt eines selbstbewussten Bürgertums haben sie Anteil am Wachstum eines freien, demokratischen und wirtschaftlich starken Deutschland.
Und das gilt bis heute, auch im harten, internationalen Wettbewerb: Indem Sie lokal verankert sind, verhelfen Sie unserem Wirtschaftsstandort zu globaler Strahlkraft. Für Ludwig Erhard waren die Industrie- und Handelskammern eine, ich zitiere, Voraussetzung für die marktwirtschaftliche Öffnung
. Die lokale Selbstverwaltung der Wirtschaft in Kammern und Innungen ist ein Grundstein in der Sozialen Marktwirtschaft. In einer föderalen Bundesrepublik kann und soll Berlin nicht jede Entscheidung treffen. Im Gegenteil. Es tut unserem Land und es tut unserer Wirtschaft gut, dass die Kammern in der ganzen Breite und Länge Deutschlands vor Ort sind: von Flensburg bis Passau, von Frankfurt an der Oder bis Saarbrücken. Und mittendrin in der Pfalz.
Natürlich brauchen die Betriebe ein offenes Ohr in Berlin. Aber vor allem brauchen Sie einen kompetenten Ansprechpartner vor Ort. Die regionale Rolle der Kammern wird immer wichtiger. Etwa, weil es in manchen Gegenden schon jetzt Probleme gibt, Auszubildende für offene Lehrstellen zu finden. Oder Meister, die bereit sind, einen Betrieb zu übernehmen. Oder schlagkräftige Akteure, die soziale und kulturelle Angebote und damit Anziehungskraft gerade in ländlichen Gegenden schaffen, wo es immer mehr junge Leute in die großen Städte und Ballungsräume zieht. Genau diese Rolle übernimmt oft die IHK vor Ort, und eben kein Steuerungsministerium mit Fünf-Jahres-Plan in Berlin, das vielleicht erst auf der Landkarte nachsehen muss, wo genau Landau oder Pirmasens eigentlich liegen. In anderen Worten: Sie kennen den Mittelstand und der Mittelstand kennt Sie!
Diese Stärke sollte niemand leichtfertig aufs Spiel setzen. Ihre Trümpfe liegen in der Einheit und der vollständigen Vertretung aller Unternehmen – nicht in internen Grabenkämpfen und Spaltungsbewegungen. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, was die Kammern für ihre Mitgliedsbetriebe leisten: Prüfungen, Fortbildungen und – wenn nötig – auch die beherzte Fürsprache in der Politik. Ich wünsche Ihnen, dass die meisten Ihrer Mitglieder das zu schätzen wissen.
Die regionale Verankerung der IHK Pfalz ist unschätzbar wichtig und wertvoll. Aber sie ist nur die Hälfte der Geschichte. Jeder zweite Arbeitsplatz in der Pfalz hängt am Export. Für Sie hier, wie im Rest Deutschlands gilt: Unser Wohlstand beruht darauf, dass unsere Unternehmen im europäischen und globalen Wettbewerb erfolgreich sind. Und die deutsche Politik muss darauf hinwirken, dass dieser Wettbewerb frei, fair und nach klaren Regeln verläuft. Und sie muss, wenn irgend möglich, diejenigen, die das Spielfeld verlassen – wie manche Partner derzeit in der Handelspolitik –, wieder auf den Platz zurückholen. Eine regelbasierte internationale Ordnung, die von den Kleinen wie den Großen respektiert wird, ist Voraussetzung für Wachstum und erfolgreiche Wirtschaft. Daran müssen wir nicht nur China, sondern auch unsere amerikanischen Partner erinnern.
Doch das allein reicht nicht. Unsere Exportstärke fällt nicht vom Himmel. Sie ist das Ergebnis Ihres Schaffens und der Exzellenz Ihrer Produkte und Dienstleistungen. Und Ihrem ständigen Drang, die Dinge noch besser zu machen. Dazu gehört auch eine lebenslange Fortbildung – und in dieser Hinsicht hat mich das Angebot der IHK Pfalz sehr beeindruckt. Ich habe mal einen Blick auf Ihre Website geworfen. Angeboten wird da zum Beispiel das Seminar Weinversand in EU und Drittländer
– nicht überraschend, weil wichtig für den Pfälzer Wein. Überrascht hat mich eher ein Kompetenzzentrum China
in Ludwigshafen. Wer mehr wissen will zu Recht und Steuern 2018
oder den Chancen der deutschen Lebensmittelbranche
im Reich der Mitte, der ist bei Ihnen gut aufgehoben. Kurzum: Sie sind in der Pfalz geboren, aber in der Welt zu Hause!
Dieser Blick über die Grenzen, und zwar nicht der misstrauische oder abwehrende, sondern der offene und neugierige, der ist für die Pfälzer Händler und Kaufleute nichts Neues. Als Johann Abresch – Sie erinnern sich: der fahnenschwenkende Kaufmann vom Beginn – am 27. Mai 1832 hier oben am Schloss ankommt, hisste er seine schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Turm. Daneben wehten auf der höchsten Zinne einträchtig die polnische und die französische Fahne. Denn die Menschen auf dem Hambacher Fest demonstrierten für die nationale Einheit Deutschlands, aber sie waren keine Nationalisten, die sich gegen andere Nationen stellten. Im Gegenteil: Sie forderten – das muss man sich für die damalige Zeit einmal vorstellen – ein conföderiertes republikanisches Europa
mit Presse-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit – und der Gleichberechtigung von Frauen.
Vieles davon haben wir heute erreicht. Aber an vielem müssen wir in Europa weiter mit vereinten Kräften intensiv und noch erfolgreicher arbeiten. Wenn Sie, meine Damen und Herren, nicht schon hier oben säßen, dann wäre ich sicher: Würde wie 1832 der Ruf Hinauf, hinauf zum Schloss!
ertönen, Sie würden sich wieder einreihen, unterhaken, sich vielleicht gar an die Spitze des Zuges setzen.
Hinauf, hinauf zum Schloss!
hieß es damals. Ich finde, heute muss der Ruf sein: Hinab, hinab auf die Straßen und Plätze!
Denn, liebe Freunde: Wir müssen wieder werben, wir müssen wieder debattieren, wir müssen auch wieder streiten für die Demokratie in Europa – und dafür weiß ich Kammern und Unternehmen an meiner Seite!
Ich wünsche Ihnen für die nächsten 175 Jahre erfolgreiche Kammertätigkeit und gutes Gelingen in allen Dingen der pfälzischen Wirtschaft. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag – und vielen Dank fürs Zuhören.